Teil 19
Autor: Honeybee

 

Mit weichen Knien ging Kim langsam auf die beiden Männer zu. Peter hatte ihr seine Hand in den Rücken gelegt und schob sie sanft nach vorne.

Caine blickte sie lächelnd an, nahm sie in seine Arme und drückte sie leicht an sich. Dann löste er sich von ihr. "Es freut mich sehr, dass es ihnen wieder besser geht." Er blickte zu Peter, der dicht hinter der jungen Frau stand.

"Komm, mein Sohn. Es ist jetzt besser, wenn wir den Raum verlassen."

Noch einmal wandte er sich Kim zu und legte ihr seine Hand an die Wange. Dann ließ er sie los und verließ geräuschlos den Raum.

Peter beugte sich zu Kim vor und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Mund. "Ich bin sofort hier, wenn du mich brauchst." Dann drehte er sich um und folgte seinem Vater.

Mit klopfendem Herzen stand Kim nun vor Lo Si und im ersten Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte.

Der Ehrwürdige spürte die Unsicherheit, lächelte sie an und streckte seine Hände nach ihr aus. "Komm, mein Kind. Du brauchst keine Angst zu haben."

Mit zittrigen Händen ging die junge Sängerin schließlich auf den Alten zu und streckte sie ihm entgegen. Er griff behutsam zu und zog sie behutsam in die Mitte des Raumes, wo schon eine Meditationsmatte bereit lag. Mit einem Kopfnicken bat er sie, sich hinzusetzten.

Kim konnte ihre Augen kaum abwenden, sie wusste, dass sie nun alle Rätsel erfahren würde und sie hatte schreckliche Angst davor. "Ich…ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Mom…Mom sagte, ich solle dich fragen, was damals geschehen ist. Es ist alles so verwirrend für mich. Warum hab ich dich beim ersten Mal nicht erkannt?"

Der Alte sah sie aufmerksam an. Dann nahm er wiederum eine Hand von ihr und hielt sie fest. "Du konntest mich nicht erkennen, ich hatte alles, was dich an mich erinnert, in dir ausgelöscht. Mein liebes Kind, es tut mir leid, dass ich dir das damals angetan habe."

"Aber warum? Sag mir das bitte?"

Als hätten sich plötzlich unsichtbare Tore geöffnet, begann der ältere Shambala Meister zu erzählen.

"Ich kannte deine Mutter schon seit ihrer Kindheit. Sie war eine sehr gelehrige Schülerin, immer fleißig, hat nie aufbegehrt und sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Ihre Gaben kamen nicht von ungefähr, sie wurden in eurer Familie schon seit Generationen weiter gegeben."

"Ungefähr so, wie bei Peter und seinem Vater?", unterbrach Kim ihn.

Der Alte nickte, dann fuhr er fort. "Deine Mutter hat geschickt verstanden, ihre Fähigkeiten vor anderen zu verbergen. Sie war stark und sie hatte viel Mut. Dennoch hielt sie es für besser, sich im Hintergrund zu halten."

"Das verstehe ich jetzt nicht. Welchen Grund hatte sie dazu?"

"Schon bevor du geboren wurdest, bekam sie Drohungen von Leuten, mit denen absolut nicht zu spaßen ist. Böse Mächte waren im Spiel und als du zur Welt kamst, hatte sie sehr viel Angst um dich. Sie wusste von Anfang an, dass auch dein Leben in Gefahr war und als sich herausstellte, das du über die gleichen Gaben wie sie verfügst, bat sie mich um Hilfe."

Lo Si hob für einen kurzen Moment seine Hand, erhob sich und ging mit leisen Schritten quer durch den Raum.

Kim verfolgte ihn mit ihrem Blick und als er wieder zu ihr zurückkam, hielt er eine kleine Schachtel in der Hand. Ihr Herz schlug wie wild und ihre Hände wurden feucht, als er sich kurz vor ihr verbeugte und ihr dann das Behältnis hinhielt.

"Was ist das?" Sie war so angespannt, dass nicht mehr als ein leises Flüstern über ihre Lippen kam.

"Mein Kind, in dieser Schachtel sind viele Dinge verborgen, die du bisher nicht kanntest. Es ist an der Zeit, diese Geheimnisse zu lüften. Bevor wir jedoch weiterreden, solltest du dir erst den Inhalt dieser Box ansehen."

Lo Si begab sich zum anderen Ende des Zimmers, setzte sich im Lotussitz auf den Boden und nickte ihr aufmunternd zu.

"Ich werde hier warten, bis du soweit bist, um mit mir zu sprechen."

Die junge Sängerin starrte regungslos auf die mit rotem Samt überzogene Schachtel in ihren Händen. Vorsichtig, als hätte sie Angst, es zu zerstören, strich sie mit zittrigen Fingern darüber.

"Öffne sie, Kim", hörte sie den Ehrwürdigen sagen.

Sie schluckte trocken, um den Kloß, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte, loszuwerden und öffnete schließlich das kleine Scharnier. Mit großen Augen sah sie auf den Inhalt hinunter. Sie griff hinein und zog eine Kette mit einem goldenen Amulett hervor. Sie versuchte es zu aufzumachen, doch sie war viel zu aufgeregt, um es beim ersten Mal zu schaffen.

Sie schloss kurz ihre Augen, konzentrierte sich auf ihre innere Mitte, um genügend Ruhe zu finden. Schließlich gelang es ihr, das Amulett zu öffnen und sie hielt den Atem an, als sie die Bilder ihrer Eltern entdeckte. Tränen stiegen ihr auf, die sie verzweifelt wegzublinzeln versuchte. Es gelang ihr nur teilweise, sich zu fangen, aber als sie in das lächelnde Gesicht ihrer Mutter sah, liefen dann doch die Tränen ungehindert über ihre Wangen.

Eine ganze Weile sah sie nur auf die beiden geliebten Menschen, die sie so sehr vermisste. Dann klappte sie das Schmuckstück zu, griff nach der Kette und legte es sich um den Hals. Als das kalte Metall ihren Hals berührte, legte sie ihre Hand darüber und drückte es ganz fest an sich.

Die junge Sängerin sah noch einmal in die Schachtel hinein und holte einen Brief hervor. Sie legte die Schachtel zur Seite und begann behutsam, das Schriftstück aufzumachen. Sie begann zu lesen und alles um sie herum verschwand im Nichts.

Liebe Kimberly

Wenn du diesen Brief jetzt ließt, dann ist genau das eingetreten, was ich immer befürchtet habe. Dein Vater und ich sind nicht mehr auf dieser Welt und das ist etwas, was mich sehr traurig macht. Du fragst dich bestimmt, warum ich dir dies hinterlasse. Es gibt mehrere Gründe dafür, die ich dir jetzt nicht mehr vorenthalten kann und will.

Meine kleine Kim, ich liebe dich von ganzem Herzen und was geschehen ist, kann ich leider nicht mehr rückgängig machen. Ich bin dir eine Erklärung schuldig, warum dein Leben so verworren geworden ist.

Wie glücklich war ich, als du zur Welt kamst. Du warst mein kleiner Sonnenschein. Dein Vater und ich haben dich über alles geliebt, auch wenn wir wussten, dass dein Lebensweg nicht einfach sein würde. Du wurdest in einer Generation geboren, die den Shaolin entspringt. Schon seit mehr als 8 Generationen werden gewisse Fähigkeiten an die nachfolgenden Kinder weiter gegeben. Dein Großvater war ein Shaolin, er war ein großartiger Mensch, leider starb er vor deiner Geburt, so dass du ihn nie kennen gelernt hast.

Als du ein kleines, freches Mädel von 4 Jahren warst, machten sich deine Gaben schon bemerkbar. Du hast dir einen Spaß gemacht, die Jungs aus der Nachbarschaft zu erschrecken, indem du gezeigt hast, welche Kraft in dir steckt. Du warst ein sehr wildes Ding, ich hatte es schwer, dich unter Kontrolle zu halten.

Meine süße Kim, während ich diese Zeilen schreibe, bist du gerade bei Lo Si, der dir deine Fähigkeiten und die Erinnerungen daran rauben wird. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich diesen Weg beschritten habe, aber ich tue dies, um dein Leben zu schützen.

Du wirst dich jetzt sicher fragen, warum ich zu diesem Schritt gezwungen war. Nicht nur die Fähigkeiten wurden dir mitvererbt, nein, es gibt da auch Münzen, sehr wertvolle Münzen, für die schon viele Menschen ihr Leben lassen mussten.

Diese Münzen, es sind acht an der Zahl, sind aus Silber und jeweils mit einem chinesischen Symbol versehen. Diese haben nicht nur einen sehr hohen materiellen Wert, nein, diese Münzen weisen dir den Weg nach Shambhala. Bisher dachte man immer, es gäbe dorthin nur den Weg über ein bestimmtes Buch, doch das stimmt nicht. Leider gibt es eine Gruppe von Menschen, die vor nichts zurück schrecken, um dies Schmuckstücke in ihre Hände zu bekommen.

Diese Menschen nennen sich Sing Wah. Es sind böse Mächte, die jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Jetzt, da du diesen Brief liest, weiß ich, dass du bei Lo Si in Sicherheit bist und das beruhigt mich sehr.

Du wurdest leider im laufe der Jahre unvorsichtig, hast deine Fähigkeiten immer öfter offen gezeigt. Du warst ein stures Kind, ein Dickschädel, wie einst dein Großvater, aber ich habe dich geliebt. Ich versuchte dir immer wieder einzureden, dich zurück zuhalten, was du auch zeitweise geschafft hast.

Dann traf ich Tom Whitmore. Er hat mich getäuscht und ich habe es nicht bemerkt. Ich bereue zutiefst, dass ich ihm die Begeisterung über das Sammeln von antiken Münzen und Antiquitäten abgenommen habe. Alles was er wollte, war heraus zu finden, wo die Münzen versteckt waren.

Er wollte aus dem Fund seine Vorteile ziehen. Zuerst glaubte ich, er würde mit den Sing Wah zusammen arbeiten, aber es war reine Geldgier, die ihn dazu trieb. Dennoch spürte ich schon eine ganze Zeitlang, dass auch die bösen Mächte sich uns immer mehr näherten.

Tom zog alle Register und ich merkte viel zu spät, dass er dich beobachten ließ. Nachdem du so offen mit deinen Kräften gespielt hast und immer wieder das Versteck aufgesucht hattest, wo die Stücke sich befanden, musste ich reagieren.

Du warst 14, ein rebellischer Teenager. Es war sehr schwer, mit dir zu reden, weil du mir nicht zuhören wolltest. Oh Kim, dies soll kein Vorwurf sein, bitte, aber ich musste dich und uns schützen. Deshalb brachte ich dich zu Lo Si. Du hattest keine Angst vor ihm, hast ihm vertraut und als er dich zu sich nahm, warst du hellauf begeistert.

Und so ließ ich es zu, dass er dir Stück für Stück deine Fähigkeiten und die Erinnerungen daran blockierte. Ich habe mir eingeredet, dass es das Beste für dich ist, wenn du alles darüber vergisst. Diese Münzen bringen nur Unglück und ich wollte, dass du eine unbeschwerte Jugend vor dir hast.

Du hast so schön gesungen, hast mit deinem Vater Klavier gespielt, dass es eine wahre Wonne war, euch zuzuhören. Ich wollte, dass dir die Zukunft offen steht, dass du deinen Traum, einmal eine ganz große Sängerin zu werden, verwirklichen wirst. Mein Schatz, deine Stimme glich der eines Engels und mehr als einmal hast du mich zum weinen gebracht. Ich wusste, dass es deine Bestimmung ist, die Menschen mit deiner Musik glücklich zu machen.

Ich hoffe sehr, dass du mir irgendwann verzeihen wirst, was ich getan habe und das du auch Lo Si nicht verurteilen wirst, dafür, das er mir dabei geholfen hat. Du warst der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich wollte dich nicht verlieren.

Jetzt, da du bei dem Ehrwürdigen bist, hat er die Möglichkeit, dir deine Erinnerungen zurück zugeben. Wahrscheinlich sind deine Fähigkeiten trotz all seiner Bemühungen das eine oder andere Mal schon hervor getreten und nun sollst du endgültig erfahren, wie du damit umgehen kannst. Es ist deine Entscheidung, aber überlege dir diesen Schritt sehr gut, er könnte erneut dein Leben drastisch verändern.

Es gibt nur eines, worum ich dich bitten möchte. Gib dem Alten diese Münzen, sie haben uns schon genug Unglück gebracht. Er weiß, was er damit tun muss. Lebe dein Leben ohne Furcht und Sorgen, schenke mit deiner Stimme den Menschen Freude und Lebenslust, all das, was ich nicht mehr hören werde.

Lerne bei Lo Si, deine Fähigkeiten zu beherrschen und sie zu benützen, um anderen damit zu helfen. Damit würdest du mich zum glücklichsten Menschen machen.

Ich liebe dich, mein kleines Engelchen, vergiss das bitte nie. Ich wünsche dir alles Liebe und Gute und hoffe, dass du auch irgendwann einen Menschen findest, der dir so nahe steht, wie einst dein Vater für mich. Werde glücklich meine Süße.

Verzeih mir

In Inniger Liebe

Deine Mom

Kim schnappte nach Luft und griff nach dem Medaillon um ihren Hals.

"Ich liebe dich auch, Mom und ich verzeihe dir." Dann brach sie in Tränen aus und sackte in sich zusammen.

Sie bekam nicht mehr mit, wie Lo Si aufstanden und zu ihr eilte. Sie nahm um sich herum nichts mehr wahr, hoffte nur, dass ihre Mutter sie irgendwie hören konnte.

Als Lo Si bemerkte, dass Kim sich in eine Art Schutzhülle zurück gezogen hatte, die er nicht durchdringen konnte, hielt er es für besser, Peter zu holen. Er ging zur Tür und winke den jungen Shaolin zu sich.

Sofort eilte Peter zu Kim und nahm sie in seine Arme. Sie wurde von einem Weinkrampf geschüttelt und schluchzte leise immer wieder vor sich hin. "Ich verzeihe dir Mom, ich verzeihe dir."

Peter sah zu Lo Si auf. "Ich denke, das wird für heute wohl reichen oder? War das wirklich notwendig?" Bestürzt betrachtete er seine Freundin.

Der Ehrwürdige sah ihn niedergeschmettert an. "Es gab keine andere Wahl, sie musste die Wahrheit erfahren. Es tut mir leid, Peter. Ich habe nicht voraus gesehen, dass sie so reagiert. Du solltest sie jetzt nach oben bringen."

Behutsam schob Peter seine Arme unter Kim und hob sie vorsichtig hoch. Die junge Frau drückte sich an seine Brust und wirkte völlig abwesend. Kurz bevor er den Raum mit ihr verließ, hielt ihm der Alte eine kleine Flasche hin. "Bitte, junger Caine, gib ihr das. Es hilft ihr, sich zu beruhigen."

Peter nickte, nahm das Fläschchen zwischen seine Finger und trug Kim die Treppe hoch. Sanft setzte er sie auf dem Bett ab, hielt ihr das Getränk an die Lippen und flößte es ihr Tröpfchenweise ein. Dann schob er sie zur Seite, legte sich zu ihr und nahm sie fest in seine Arme.

Die Tränen durchfeuchteten sein Hemd, er spürte ihren schnellen Atem und ihr wild klopfendes Herz. Immer wieder streichelte er ihr behutsam über den Rücken, sprach sanfte, beruhigende Worte auf sie ein.

"Ich verzeihe dir, Mom, ich verzeihe dir", immer wieder murmelte die junge Sängerin diese Worte vor sich hin, bis sie schließlich ein erholsamer Schlaf zur Ruhe zwang.

Peter zog sie eng an sich heran, küsste ihre Stirn und flüsterte ihr zu: "Ich bin mir sicher, das wird sie."

Stumm hielt er sie in seinen Armen, schloss seine Lider und ohne es zu wollen, kullerte ihm unter seinen Wimpern eine Träne hervor, die sich unbarmherzig den Weg über seine Wange bahnte.

*Wie viel Leid muss sie denn noch erleiden, bis sie endlich zur Ruhe kommt?*, fragte er sich.

*******

Peter kam in dieser Nacht kaum zur Ruhe, denn Kim wälzte sich ständig unruhig von einer Seite zur anderen. Immer wieder murmelte sie im Schlaf vor sich hin: "Ich verzeihe dir, Mom."

Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Hilflos, weil er ihre Qualen nicht beenden konnte, hielt er Wache an ihrer Seite und zog sie in seine Arme, wenn die Albträume, die sie offenbar verfolgten, zu schlimm wurden. Erneut kamen ihm Zweifel, ob es nicht besser gewesen wäre, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Wie viel konnte Kim noch erleiden, bevor sie endgültig zusammen brach? Wollte er ihr das zumuten?

Er liebte sie von ganzem Herzen, wollte, dass sie glücklich mit ihm war, doch immer wieder wurden diese Glücksmomente durch schreckliche Erinnerungen unterbrochen.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Kim sich erneut in seinen Armen wälzte. Behutsam hielt er sie fest, während er ihr beruhigende Worte zuflüsterte. Einige Minuten später entspannte sie sich und für eine kurze Zeit lag sie ganz friedlich an seiner Seite.

******

Kim fühlte sich in einer anderen Welt. Alles um sie herum wirkte unwirklich und nicht real. Sie rannte, sie wusste nicht mal wohin. Ihr Atem ging schwer, ihre Lunge brannte und ihre Beine schmerzten, doch sie rannte immer weiter.

"Mom? Mom? Wo bist du, Mom?"

Sie blieb stehen und beugte sich nach vorne, dabei stützte sie sich mit den Händen auf den Knien ab. Sie keuchte und versuchte mit gleichmäßigen Atemstößen, Luft zu holen.

"Mom? Bitte! Ich muss dich noch einmal sehen. Komm noch einmal zu mir zurück." Ihre letzten Worte klangen fast wie ein Flehen.

"Ich bin hier mein, Engel."

Die junge Frau wirbelte herum. "Gott sei Dank, du bist hier."

"Ich kann nicht sehr lange bleiben, mein Schatz."

"Ich weiß, Mom. Ich…ich wollte dir nur noch etwas sagen." Sie holte tief Luft. "Ich habe deinen Brief gelesen. Mir ist klar geworden, dass du dies alles nur aus Liebe zu mir getan hast. Mom, ich verzeihe dir alles, hörst du? Ich verzeihe dir."

Mit angehaltenem Atem stand Kim und wartete ängstlich auf die Reaktion. Ein zarter Windhauch streifte ihre Wange.

"Ich danke dir, mein Schatz. Du ahnst gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Doch jetzt musst du gehen. Lass mich los. Sprich noch einmal mit Lo Si, er wird dich über deine Fähigkeiten aufklären. Geh jetzt und werde mit Peter glücklich."

"Ich liebe dich, Mom."

"Und ich liebe dich, Kimberly." Die Stimme wurde immer leiser und verschwand irgendwann ganz, doch dieses Mal war Kim nicht traurig darüber. Sie hatte ihrer Mom verzeihen können und das war ihr sehr wichtig gewesen.

******

Peter beobachtete seine Freundin schon eine ganze Weile. Sie wirkte äußerlich wie ein gehetztes Tier und er fragte sich, welcher Albtraum sie diesmal nicht zur Ruhe kommen ließ. Plötzlich spürte er ein sehr intensives Glücksgefühl, das von Kim ausging. Er stützte sich auf den Ellbogen und musterte ihr Gesicht. Ein Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen und ihre Züge entspannten sich merklich.

Der junge Shaolin fühlte mächtige Emotionen, die von Kim auf ihn übersprudelten und er atmete erleichtert durch. Sie hatte offenbar im Schlaf einen Weg gefunden, um noch einmal mit ihrer Mutter in Kontakt zu treten. Ein solcher Strom der Gefühle durchfuhr ihn, dass es ihn beinahe selbst überwältigte. Jetzt war er sich ganz sicher. Kim hatte ihren Frieden mit ihrer Mutter gemacht und ihre körperliche Reaktion bestätigte ihm dies.

Völlig entspannt und ruhig lag sie in seinem Arm, ihr Atem ging gleichmäßig und die Albträume hatten offenbar aufgehört. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es ihr auch wirklich gut ging, ließ er sich zurück aufs Bett sinken und schloss seine Arme wieder um sie. Dann wagte er es, für einige Minuten seine Augen zu schließen. Er atmete den Duft ihrer Haare ein, die Wärme ihrer Haut machte ihn schläfrig und bevor auch ihn der Schlaf übermannte, kam ihm ein Gedanke, der ihn selbst im Traum nicht mehr losließ, ihn aber selig lächeln ließ.

Eine halbe Stunde später erwachte Peter und sein erster Gedanke galt Kim. Er erhob sich ein wenig, darauf bedacht, dass ihre Hand, die auf seiner Brust lag, nicht herunter fiel. Behutsam hielt er sie sanft fest. Er betrachtete ihr entspanntes Gesicht. Das Mittel von Lo Si zeigte nun seine volle Wirkung und er wusste, dass die junge Frau noch eine ganze Weile sehr tief und fest schlafen würde.

Vorsichtig rutschte er an den Rand des Bettes, hob ihren Arm leicht an und ließ ihn sachte auf das Bett nieder, während er langsam aus dem Bett schlüpfte. Er griff nach der Decke, zog sie ihr ganz über die Schulter und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. Dann verließ er auf Zehenspitzen das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

Der junge Shaolin strich sich durch sein zerzaustes Haar, als er sich auf den Weg zu seinem Vater und Lo Si machte. Er durchsuchte die Zimmer, bis er die beiden im Meditationsraum fand. Sie saßen auf dem Boden und sahen ihn erwartungsvoll an.

"Wie geht es Kim?", fragte der Ehrwürdige. Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass ihm der völlig überraschende Gefühlsausbruch der jungen Frau sichtbar nachgegangen war.

"Sie schläft und ich hab das Gefühl, dass sie mit ihrer Mutter Frieden geschlossen hat."

Sichtlich erschöpft ließ sich Peter zwischen seinem Vater und dem Alten nieder. "Ich bewundere sie wirklich, woher sie all diese Kraft nimmt. Ihr Körper ist durch die entzündete Wunde noch immer geschwächt und emotional ist sie im Moment mehr als angeschlagen." Er seufzte laut auf. "Ich frage mich, ob dies nicht alles zu viel für sie wird."

"Mein Sohn, es wird nicht immer so bleiben. Es ist zuviel auf einmal passiert. Hab Vertrauen, es wird sich alles zum Besten wenden."

Mit diesen Worten legte Caine ihm seine Hand an die Wange und unweigerlich schmiegte sich Peter dichter an die Wärme, die durch diese Berührung auf ihn überging. Er schloss für einige Sekunden die Augen, um diesen Moment still zu genießen.

"Doch nun, mein Sohn, solltest du auch etwas für dich tun. Du siehst müde und erschöpft aus. Versuche dein Chi wieder zu stärken, damit du Kim auch weiterhin helfen kannst."

Plötzlich legte der Shambhala Meister seinen Kopf ein wenig schräg und ein winziges Lächeln huschte über sein Gesicht. "Du liebst diese junge Frau?"

"Vor dir ist auch nichts geheim, wie mir scheint", grinste der junge Mann leicht verlegen zurück. "Ja Paps, ich liebe sie. Mehr als ich es mir jemals vorgestellt habe."

Sein Vater nickte ihm verständnisvoll zu. Bevor er antworten konnte, fiel Peter wieder die Idee ein, die ihm kurz bevor er eingenickt war, durch den Kopf gegangen war. Aus Angst, dass Kim eventuell etwas hören konnte, senkte er seine Stimme und weihte die beiden älteren Männer in sein kleines Geheimnis ein. Sichtlich erfreut lächelte der Alte ihm zu.

"Das ist eine sehr gute Idee, Peter."

Peter erhob sich und verließ breit grinsend das Zimmer. Kurze Zeit später kehrte er zurück und setzte sich wieder dazu. Nachdem das Trio noch eine Weile über Kim und das was geschehen war, geredet hatte, saß nun jeder im Lotussitz auf dem Boden und war in stiller Meditation versunken. Kein Laut war zu hören, das Haus wirkte wie ausgestorben.

Durch die Meditation sichtlich gestärkt machte sich der ehemalige Detective auf den Weg nach oben. Er wollte gerade den Türknauf umfassen, als dieser sich drehte und die Tür aufging.

"Du bist schon wach?", sichtlich erschrocken zuckte er kurz zusammen. "Geht's dir besser?"

Die junge Sängerin lächelte ihn an. "Ich weiß nicht, was dir Lo Si da gegeben hat, aber es hat wirklich hervorragend gewirkt."

Sie kam einen Schritt auf ihn zu und schmiegte sich eng an ihn. Ihre Wange drückte sie fest an seine Brust und Peter schlang seine Arme um sie. Sie hob ihren Kopf und sah ihn liebevoll an. Ihre blauen Augen glänzten wie schon seit langer Zeit nicht mehr und wieder einmal hatte er das Gefühl, in diesen kleinen Seen zu versinken.

Er senkte seinen Kopf und küsste sie zärtlich, spürte, wie sie sich ganz dicht an ihn kuschelte und seinen Kuss voller Hingabe erwiderte. Atemlos trennten sie sich voneinander.

"Hör niemals auf, mich so zu küssen, versprich mir das", flüsterte sie ihm leise zu.

"Das verspreche ich dir gerne, Kleines." Erneut verschloss er ihre süßen Lippen mit einem innigen Kuss. Plötzlich musste er schmunzeln, als er ein lautes Bauchgrummeln hörte. "Hast du Hunger, Liebes?"

"Ein klein wenig schon."

"Dann lass uns essen gehen."

Arm in Arm stiegen sie die Treppen hinab. Als Kim in den Meditationsraum sah, erblickte sie Lo Si, der ihr einen fragenden Blick zuwarf.

"Warte Peter, ich…ich muss mit ihm reden." Sie legte ihm die Hand auf die Brust, um ihn am Weitergehen zu hindern.

"Bist du sicher, dass es nicht zuviel wird?"

"Ich muss es tun, bitte Peter."

"Soll ich hier bleiben oder gehen?"

Die junge Sängerin griff nach seiner Hand und hielt sie ganz fest. "Diesmal möchte ich dich dabei haben."

Als sie auf Lo Si zuging, senkte sie kurz ihren Blick, verbeugte sich vor ihm und sprach ihn leise an.

"Es tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe, Ehrwürdiger. Ich hab wohl etwas heftig reagiert."

"Mein Kind, du musst dich nicht entschuldigen", meinte der Alte und öffnete seine Arme, in die sich Kim bereitwillig hinein begab.

"Wir müssen reden", meinte Kim und ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel, wie entschlossen sie in dem Moment war.

Der Shambhala Meister nickte und führte sie in den Raum hinein. Peter und Kim setzten sich und er nahm ihnen gegenüber Platz.

Kim holte tief Luft und atmete erst einmal tief durch.

"Ich weiß von Mom, dass du die Möglichkeit hast, mir meine Erinnerungen wiederzugeben. Bevor ich aufgestanden bin, habe ich lange darüber nachgedacht und ich bin zu einer Entscheidung gekommen."

Peter saß angespannt neben ihr und hielt unweigerlich den Atem an. Was wenn Kim sich entschließen würde, alles rückgängig zu machen? Würde sich ihre Beziehung dadurch verändern? Was würde alles geschehen? Peter spürte, wie Angst in ihm aufstieg, und seine Hände fingen unweigerlich an zu zittern.

"Ja, mein Kind, diese Möglichkeit steht dir offen."

"Gut, denn ich werde sie nicht nutzen. Die Vergangenheit hat mir zuviel Leid und Kummer beschert, ich will das alles hinter mir lassen. Was vergangen ist, ist vorbei. Was für mich zählt, ist das hier und heute und meine Zukunft."

Bei diesen Worten legte sie ihre Hand über die von Peter und fühlte, wie eiskalt seine Finger geworden waren. "Hier habe ich Menschen gefunden, die ich über alles liebe. Die Vergangenheit würde hier nur im Weg stehen."

Ihr Blick war so klar und rein, das Peter die Gefühle zu überwältigen drohten und so drückte er ihre Hand nur ganz fest.

"Gut, wenn du es so haben möchtest, dann werde ich dies akzeptieren", nickte ihr der ältere Mann zu. "Was soll mit den Münzen geschehen?"

Erschrocken sah Kim zu Peter und ihr stockte der Atem. Sie griff sich mit der Hand an die Stirn. "Großer Gott, die hab ich völlig vergessen. Das letzte Mal als ich sie in der Hand hatte, war in Moms Küche." Sie wandte sich Lo Si zu und erstarrte. "Ich weiß nicht, wo sie sind."

"Warte", meinte Peter und erhob sich. Kurz darauf hörte Kim ihn telefonieren und ein paar Minuten später saß er wieder neben ihr auf dem Boden.

"Ich hab mit Kermit gesprochen. Er hat die Münzen in der Speisekammer gefunden. Sie wurden mit aufs Revier genommen. Das ging wohl alles in dem Chaos unter. Die Schüsse, deine Verletzung, ich gebe zu, ich hatte die Münzen auch total vergessen. Nur gut, dass wenigstens Kermit einen kühlen Kopf bewahrt hat. Allerdings fürchte ich, dass du sie so schnell nicht zurückbekommst. Sie werden dort wohl eine Weile als Beweismaterial bleiben müssen."

"Gott sei Dank", seufzte Kim erleichtert auf. "Es ist so viel geschehen, dass ich daran nicht mehr gedacht habe."

Der Ehrwürdige lächelte ihr zu. "Die Münzen werden dort wohl für kurze Zeit sicher sein. Zurück zu dir, mein Kind. Was ist mit deinen Fähigkeiten? Willst du erlernen, wie du sie beherrschen und einsetzen kannst?"

"Ja das will ich. Sei mein Lehrer und Meister, Lo Si, so wie du es offenbar in meiner Jugend schon warst. Bring mir alles bei, was ich wissen muss."

Auf einmal lachte Kim laut auf. "Zuerst sollte ich natürlich auch wissen, über was ich alles verfüge." Sie wurde wieder ernst. "Ich weiß, dass ich Gegenstände oder Personen durch die Luft schleudern kann."

Plötzlich beugte sie sich zu Peter und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. "Du hast das leider schmerzhaft erfahren müssen, Darling."

Der junge Shaolin strich ihr kurz über die Wange. "Ich hab's überlebt", grinste er sie an.

Sie wandte sich wieder an Lo Si. "Ich weiß auch, dass Peter mit mir über die Gedanken reden kann, wobei ich es immer noch nicht verstehe, wie er das macht."

*Ich liebe dich*, schoss es ihr im selben Moment durch den Kopf und sie lachte. "Siehst du, er tut es schon wieder." Sie knuffte ihn zärtlich in die Seite.

"Das ist noch nicht alles, mein Kind", unterbrach sie der ältere Shaolin. "Du kannst deinen Körper verlassen, allerdings ist dir dies bisher nur gelungen, wenn du panische Angst hattest."

"So wie damals beim Unfall?", fragte sie ihn leise und Lo Si nickte.

"Wirst du mir dabei helfen?" Erwartungsvoll sah sie ihn an.

"Es ist mir eine Ehre, dir alles beizubringen, aber es wird nicht einfach werden. Viele Übungen stehen dir bevor, die dir zeitweise alles abverlangen werden. Du musst lernen, deinen Körper und deinen Geist zu beherrschen und vor allem dein Temperament, mein Kind. Ich werde versuchen, dir zu zeigen, wie du durch Konzentration deine Kräfte so benützen kannst, dass du niemandem damit schadest. Du hast von Simon einiges was die Meditation betrifft gelernt, ich werde dich in die Tiefenmeditation einweisen, durch die es dir möglich wird, dich in Sekunden zu beruhigen, damit du deine Stärken kontrolliert einsetzen kannst. Bist du dir ganz sicher, das du dies alles tun willst?"

"Ganz sicher." Ihre Stimme klang stark und fest, als sie ihm antwortete. "Ich muss schließlich eine Tradition weiterführen, das bin ich Mom schuldig."

"Das sind aber viele Dinge auf einmal", warf Peter ein. "Wir…wir könnten doch…ich meine Paps und ich könnten…"

Der Ehrwürdige lächelte Peter an. "Du meinst, wir sollten die Aufgaben teilen?"

Verlegen senkte der junge Mann seinen Blick und hob erstaunt seinen Kopf, als er Lo Si sagen hörte. "Das ist eine gute Idee."

Freudestrahlend umarmte Kim den älteren Mann. "Ich danke dir. Ich verspreche, ich werde eine gelehrige Schülerin sein. Wann beginnen wir mit dem Unterricht?"

"Zuerst muss dein Körper sich erholen. Deine Wunde ist noch nicht ausgeheilt und dein Körper noch geschwächt, Kleines. Du musst erst gesund werden, bevor wir anfangen können.", schaltete sich Peter dazwischen. "Du musst noch ein wenig Geduld haben."

"Stimmt, du hast Recht. Ich war zu ungeduldig."

Sie sah Peter zu, wie dieser sich erhob und fasste nach seiner ausgestreckten Hand, mit der er sie dann sachte hochzog. Aufmerksam verfolgte sie, wie ihr Freund seine linke Hand über die geballte Faust der rechten legte, wobei die Fingerspitzen leicht nach oben zeigten und sich dann vor Lo Si verbeugte. Fragend blickte sie ihn an.

"Das ist ein Shaolin Gruß", klärte er sie auf und zeigte ihr sogleich, wie sie ihre Hände halten musste.

Die junge Sängerin machte es ihm nach und verbeugte sich vor Lo Si, der ihren Gruß erwiderte. Glücklich lächelnd schmiegte sie sich an Peter. "Und schon hab ich meine erste Lektion gelernt."

Sie sahen einander tief in die Augen, küssten sich innig und waren so ineinander versunken, dass sie nicht bemerkten, wie der Ehrwürdige lächelnd das Zimmer verließ.

"Was tun wir jetzt?" Fragend sah Kim zu Peter auf.

Dieser lächelte sie nur an. "Das kommt ganz darauf an, was bei der Untersuchung von Dr. Sabourin heute Mittag heraus kommt."

"Wie meinst du das? Du machst mich neugierig."

Sie schmiegte sich eng an seine Brust und hörte sein Herz leise pochen. Ein ungeheures Glücksgefühl durchfuhr sie und am liebsten hätte sie diesen zärtlichen Mann für immer so gehalten.

"Mehr wird nicht verraten", wisperte er ihr ins Ohr und sein warmer Atem streifte sachte ihren Hals, was sie erschauern ließ.

Die junge Frau löste sich ein wenig aus seiner Umarmung, um ihn ansehen zu können. Sehnsucht breitete sich in ihr aus und das Gefühl, sich in ihm ganz zu verlieren wurde immer mächtiger in ihr. Sie hob ihre Hand und streichelte sanft sein Gesicht.

"Ich vermisse dich, Peter. Wann werden wir uns endlich wieder lieben?", flüsterte sie ihm zu.

Peter legte seine Hände um ihr Gesicht und beugte sich zu ihr vor. Sachte streifte er mit seinen Lippen ihren Mund und murmelte: "Bald, mein Schatz, bald." Dann küsste er sie zärtlich und innig und er fühlte, wie Kim sich fest an ihn drückte. "Ich vermisse dich auch, Kleines."

*****

Einige Zeit später saß Kim nervös im Behandlungszimmer von Dr. Sabourin auf dem Stuhl. Die Untersuchung hatte nicht sehr lange gedauert und die Ärztin schien sehr zufrieden mit ihr zu sein. Während die junge Sängerin auf das Ergebnis wartete, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Was hatte Peter mit ihr vor? Was für eine Überraschung hatte er sich wohl ausgedacht?

Der Gedanke, bald mit ihm ganz allein zu sein, ließ sie freudig erschauern. Sie vermisste seine Wärme, seine sinnlichen Küsse, während er sie zärtlich berührte. Es war schon so lange her, dass sie miteinander geschlafen hatten und sie sehnte sich mit jedem Tag mehr danach.

Kim wurde abrupt aus ihren Träumen gerissen, als Dr. Sabourin das Zimmer betrat. "Bitte entschuldigen Sie, Miss Richmond, dass es so lange gedauert hat." Sie nahm ihr gegenüber Platz und legte eine Akte auf den Tisch.

Erwartungsvoll und gleichzeitig verängstigt sah Kim die Frau an.

Ein Lächeln zeigte sich auf Dr. Sabourins Gesicht. "Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Die Wunde verheilt sehr gut und auch die Entzündung ist deutlich zurückgegangen."

Erleichtert atmete Kim durch. "Das sind doch gute Nachrichten. Muss ich trotzdem noch jeden Tag vorbei kommen?"

"Nein, das ist nicht nötig. Für die restliche Wundbehandlung werde ich Ihnen eine Salbe geben, die sie bitte dreimal täglich auftragen. Wenn wir Glück haben, dann bleibt von ihrer Schusswunde nicht mehr als ein heller Fleck übrig. Vorausgesetzt natürlich, sie schonen Ihren Arm noch eine Weile, also keine schweren Gegenstände heben."

Schuldbewusst senkte die junge Sängerin ihren Kopf. "Ich weiß, Frau Doktor, ich war sehr unvernünftig." Sie hob ihren Blick. "Kann ich Sie noch etwas fragen?"

"Bitte. Was wollen Sie von mir wissen?"

"Ich bin immer noch so schrecklich müde und manchmal werden meine Beine weich. Woran liegt das? Kommt das durch den Blutverlust, den ich erlitten habe?"

Die Ärztin blätterte die Akten durch. "Mal sehen. Es ist jetzt knapp 6 Wochen her, als sie verwundet wurden. Der Bluttest gab jetzt keinen Anlass zur Sorge, also denke ich, dass ihr Körper einfach ein bisschen länger braucht, um sich zu erholen. Sollten Sie sich aber in einer Woche noch nicht besser fühlen, dann kommen Sie bitte wieder vorbei."

Kim nickte und machte Anstalten, sich zu erheben, als sie von Dr. Sabourin nochmals angesprochen wurde. "Hatten Sie als junges Mädchen Probleme mit ihrer Monatsblutung?"

"Keine Ahnung. Wissen Sie, es gibt vieles, was ich aus meiner Jugend nicht mehr weiß. Warum?"

"Nun ja, durch eine starke Blutung entsteht manchmal ein Eisenmangel, die Symptome weisen jedenfalls darauf hin. Da Beste wird sein, ich gebe Ihnen etwas mit, das Eisenmangel vorbeugt. Schwanger werden Sie ja nicht sein?"

Einen Augenblick lang starrte Kim die Ärztin nur schweigend an.

Dr. Sabourin bemerkte sofort, dass die junge Frau sichtlich erschrocken war. "Möchten Sie mit mir darüber reden, Miss Richmond? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?"

Kim blickte die Ärztin traurig an und eine kleine Träne lief ihr über die Wange. "Ich…ich kann keine Kinder bekommen", brach es aus ihr heraus.

Dr. Sabourin stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Beruhigend legte sie ihre Hand auf Kims Schulter. "Das tut mir leid. Eine Spätfolge ihres Unfalls?"

Die junge Sängerin nickte stumm. "So hat man es mir jedenfalls gesagt." Ein dicker Kloß setzte sich in ihrem Hals fest und sie räusperte sich, um ihn loszuwerden. Ihr Herz wurde schwer und große Traurigkeit erfasste sie.

"Miss Richmond? Haben Sie etwas dagegen, wenn ich bei meinem Kollegen Ihre Akte beantrage und sie hierher kommen lasse?"

"Nein, aber wozu brauchen Sie diese Unterlagen?"

"Nun, da sie mit Peter mehr als gut befreundet sind, schätze ich mal, das Sie auf längere Zeit hier in der Stadt sind und da wäre es doch von Vorteil, wenn ich Ihre Vorgeschichte richtig kennen würde."

"Das ist eine gute Idee", murmelte Kim vor sich hin. Dann erhob sie sich plötzlich und reckte der Ärztin die Hand entgegen. "Ich danke Ihnen, Dr. Sabourin. Wann soll ich zum nächsten Termin hier sein?"

"Es genügt, wenn sie am Ende der Woche noch einmal vorbei kommen."

Kim nickte, griff nach ihrer Tasche und verließ leise das Zimmer.

Dr. Sabourin sah ihr nachdenklich nach. Dieser überraschende Aufbruch schien wie eine Flucht zu sein. Eine Flucht vor den unausweichlichen Tatsachen, dass sie niemals schwanger werden konnte.

Vor der Tür blieb Kim stehen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und zupfte an ihren Wangen, bis diese ganz warm wurden. Sie wollte Peter ihre Tränen nicht zeigen, so streckte sie sich und ging aufrecht hinaus.

Mit einem Lächeln im Gesicht kam Peter auf sie zu und umarmte sie. "Na, was hat sie gesagt?"

"Alles okay, ich brauche erst in ein paar Tagen wieder zu kommen." Sie schmiegte sich an seinen warmen Körper und schlang ihre Arme um ihn.

Peter spürte sofort, dass Kim ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, sagte aber nichts, sondern drückte sie fest an sich. Irgendwann würde sie sich ihm anvertrauen, das wusste er. Langsam beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie zärtlich auf den Mund.

"Dann lass uns endlich von hier verschwinden."

"Wohin fahren wir?"

"Zur Hütte, meine Kleine."

Alle Sorgen und Ängste, die sie in diesem Moment noch hatte, verflogen sofort. Die Aussicht auf ein paar unbeschwerte Tage und Nächte mit Peter, brachten sie zum schmunzeln. "Nur du und ich?", flüsterte sie ihm zu.

"Nur du und ich", hauchte er ihr ins Ohr, dann küsste er sie leidenschaftlich.

 

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