Teil 4
Autor: Ratzenlady
 

Das Klingeln seines Handys riss Ryan Walker aus den Gedanken, die ihn während der Autofahrt zu den Eltern des Opfers beschäftigten. Er langte in die Ablage vor dem Schaltknauf und nahm das Gespräch an, ohne aufs Display zu sehen, weil der dichte Verkehr ihm keine Möglichkeit dazu ließ.

"Walker", meldete er sich leicht genervt.

"Das Codewort", verlangte die maschinelle Stimme am anderen Ende der Leitung. Er rollte die Augen, dann nannte er seinen persönlichen Zugang.

"Shooter."

Es dauerte eine ganze Weile, knackte einige Male in der Leitung, dann endlich meldete sich ein Mensch.

"Hallo Shooter", sagte eine männliche Stimme am Telefon.

"Was ist?", fragte Ryan kurz angebunden, sein ganzer Gesichtsausdruck hatte jetzt eine Härte und Ernsthaftigkeit angenommen, die ihresgleichen suchte.

"Du solltest dich um diesen Griffin kümmern, der wird ganz schön neugierig und hat versucht, sich in den Server zu hacken. Der Boss springt schon im Dreieck."

"Solange er noch nicht im Quadrat springt. Sag ihm, das ist SEIN Problem! Ich kann ja schlecht hingehen und Griffin bitten, nicht mehr nachzuforschen."

"Vorsichtig, Shooter, vorsichtig!"

"Schon gut. Mal sehen, was ich machen kann, aber macht euch keine großen Hoffnungen, dass ich irgendwas erreiche", sagte Ryan und klappte das Handy zu. Schon im Vorfeld war absehbar gewesen, dass Kermit Griffin seine Versetzung nicht so einfach schlucken würde. Allerdings musste er sich selbst auf die Fahnen schreiben, dass er dessen Computerkenntnisse offenbar unterschätzt hatte.

* * *

Cat erkannte den Wagen, aber dennoch warf sie zunächst einen skeptischen Blick mit gebührendem Abstand durch das Seitenfenster und sah, wie Paul sich gerade herüberbeugte, um ihr die Beifahrertür zu öffnen. Eigentlich hatte sie keine Lust, jemanden zu sehen, den sie kannte, und vor allem sich zwangsläufig erklären zu müssen, warum sie im kalten Regen umherlief. Sie blieb einen Moment stehen und starrte unentschieden auf die offene Tür.

"Nun steig schon ein, du holst dir noch den Tod!", sagte Paul so bestimmt, dass Cat sich schließlich in Bewegung setzte und auf den Beifahrersitz fallen ließ. Ihren Kopf hielt sie gesenkt und wischte sich erstmal das Wasser von der Haut, den Blick ihres Schwiegervaters deutlich spürend.

"Was ist denn passiert?", fragte er fordernd, aber sanft.

Die junge Frau aber schüttelte nur den Kopf. "Nichts", murmelte sie leise und nur wenig überzeugend. Paul musterte sie noch immer skeptisch und zeigte keine Anstalten, den Wagen wieder zu starten und loszufahren.

"Habt ihr euch gestritten?", fragte er vorsichtig, Cat aber verzog das Gesicht.

"Hat er dich angerufen? Oder Kermit?", fragte sie böse.

Paul aber schüttelte den Kopf. "Ich hab nur richtig geraten. Es wäre mir auch kein anderer Grund dafür eingefallen, dass du bei diesem Wetter durch die Straßen läufst."

Cat sah jetzt das erste Mal zu ihm rüber und verzog verlegen den Mund.

"Jetzt nimm' dir erstmal die Decke vom Rücksitz, du erfrierst mir ja sonst noch."

"Danke, mir ist nicht kalt!", sagte sie und wurde genau in dem Moment von einem Zitteranfall heimgesucht, weil die Kälte des Wetters ihr bis zu den Knochen durchgedrungen war. Ihr Schwiegervater schüttelte nur verständnislos den Kopf und langte dann selbst nach hinten. Nur widerwillig ließ sie sich von ihm zudecken.

"Jetzt beruhige dich doch mal, Mädchen! Soll ich dich nach Hause bringen?", fragte Paul und erntete dafür einen brennenden Blick.

"Ich habe doch ohnehin keine Wahl, oder?!", zickte sie.

Er verdrehte die Augen über so viel Unvernunft. Er hatte keine Ahnung, was sich zwischen den beiden zugetragen hatte, aber sie musste heftig verletzt sein, wenn sie so reagierte. Er würde Peter bei Gelegenheit darauf ansprechen, aber jetzt musste er erstmal dafür sorgen, dass sie sich beruhigte und aus den nassen Sachen kam.

"Himmel, beruhige dich! Was soll ich denn deiner Meinung nach jetzt mit dir machen, hm?"

Cat zuckte nur die Schultern, als es in ihrer Hosentasche zu klingeln und vibrieren anfing, missmutig zog sie das Handy heraus und blickte auf das Display. Auch Paul konnte den Namen seines Sohnes lesen, aber Cat ging nicht ran, sondern starrte nur auf die leuchtenden Buchstaben.

"Willst du nicht abnehmen?", fragte er nach.

"Nicht wirklich, nein", murmelte sie.

Paul verzog das Gesicht. "Du solltest aber. Er macht sich wahrscheinlich unglaubliche Sorgen um dich!"

"Ich will aber nicht mit ihm reden!"

Paul atmete tief durch, dann reichte er seine Hand in ihre Richtung. "Egal worüber ihr euch gestritten habt, man musst ihn wissen lassen, dass dir nichts passiert ist!" beharrte er und hatte noch immer seine Handfläche auf ihrer Seite ausgestreckt. Cat legte schließlich das Telefon in seine Hand und Paul klappte es sogleich auf.

"Cat? Cat? Bist du dran?", schoss Peter sofort los.

"Peter, ich bin es", sagte Paul ruhig. Sein Sohn aber schien seine Stimme in der Aufregung nicht zu erkennen.

"Wer ist da? Wo ist Cat? Was haben sie…?"

"Ich bin es, Paul! Beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Cat ist bei mir."

"Paul? Gott sei Dank! Wo ist Cat, warum ist sie nicht ans Telefon gegangen?", plapperte Peter weiter.

Der frühere Captain warf einen Seitenblick auf die junge Frau, die demonstrativ aus dem Fenster starrte.

"Ich glaube, sie möchte nicht mit dir sprechen."

"Aber… sie ist immer noch wütend?"

"Sieht so aus. Ich denke, ich nehme sie mit zu uns, bis sie sich beruhigt hat."

"Ich fahre gleich los und hol sie ab!", sagte Peter, den Unterton in der Stimme seines Vaters gar nicht wahrnehmend. Der warf noch einen Blick auf Cat.

"Peter! So habe ich das nicht gemeint. Lass sie erstmal runter kommen, ich bringe sie dann wieder nach Hause."

Der Schock war am anderen Ende Leitung deutlich zu hören. "Aber… wann?", fragte er besorgt nach. "Ich habe doch… ich wollte doch nicht…" stammelte er mit deutlich schlechtem Gewissen in der Stimme.

Paul seufzte schwer auf, während Cat noch immer die Regentropfen auf dem Seitenfenster zu zählen schien.

"Bleib ruhig, Peter! Ich melde mich einfach wieder bei dir, und du hältst bis dahin bitte die Füße still, ok?!", sagte der frühere Captain deutlich, ohne dass es wirklich eine Frage gewesen wäre.

Peter stimmte schließlich widerwillig zu, sein Vater klappte das Handy wieder zusammen und gab es zurück.

Ohne sich weiter zu unterhalten startete Paul seinen Wagen, drehte die Heizung für die unterkühlte Frau voll auf und fuhr mit ihr nach Hause. Allmählich fragte er sich, ob es einen wirklich ernsten Grund für Cats Reaktion gab, oder ob sie vielleicht doch nur übermäßig eingeschnappt war. Er würde sich von ihr erzählen lassen, was sie bewegte, und gegebenenfalls noch mal mit Peter Rücksprache halten, um auch die andere Seite zu sehen. Schließlich kannte er das Temperament seines Sohnes und wusste, dass er manchmal damit über die Stränge schlug und auch unwissentlich jemanden verletzte.

Cat regte sich erst wieder, als Paul den Wagen abstellte und ausstieg. Sie folgte ihm wortlos zur Haustür, trat hinter ihm ein schloss sie wieder. Sofort wurden sie von Annies Stimme begrüßt.

"Paul, bist du das?"

"Ja ich bin es, Liebling", sagte er und seine Stimme klang jetzt relativ müde.

"Wen hast du da mitgebracht?" fragte Annie weiter und trat jetzt in den Flur, um ihnen entgegen zu kommen. Paul drehte sich zu Cat um und sah sie an.

"Ich bin es, Annie, Castor", sagte sie leise. Es war klar, was als nächstes kommen würde, und sie hatte eigentlich keine Lust, die Fragen die beantworten. Annie kam auf sie zu.

"Oh, hallo Castor. Was für eine schöne Überraschung", erwiderte sie fröhlich, obwohl sie schon in ihrem Tonfall gehört hatte, dass etwas nicht stimmte. Sie streckte ihre Arme aus, wollte Cat umarmen, hielt dann aber in der Bewegung inne, als ihre Hände die schmalen Oberarme der jungen Frau erreichten.

"Du bist ja klitschnass! Warst du bei dem Wetter draußen? Du holst dir noch eine Lungenentzündung! Komm erstmal mit hoch!", sagte Annie und ging selbstverständlich die Treppe hoch, von Cat gefolgt. Sie lotste die junge Frau in Kellys Zimmer.

"Jetzt zieh' die nassen Sachen aus und geh heiß duschen. Hier in Kellys Schrank kannst du dir was zum Anziehen suchen, da müsste bestimmt was in deiner Größe dabei sein", sagte Annie und ging aus dem Zimmer.

Cat musste ein wenig schmunzeln; obwohl diese bemerkenswerte Frau blind war, wusste sie ihre Konfektionsgröße, außerdem war sie auch zunächst um ihre Gesundheit besorgt, ehe sie irgendwelche Fragen stellte.

Cat streifte die nassen Klamotten ab und legte sie über die Heizung im Badezimmer, dann drehte sie das heiße Wasser auf. Sie hatte es nicht eingestehen wollen, aber ihr war furchtbar kalt und sie fühlte sich schlecht. Vorsichtig fühlte sie mit der Hand die Temperatur, stellte neu ein und stieg dann in die geräumige Duschkabine in dem Badezimmer, das zwischen Kellys und Carolines Kinderzimmern lag und zu beiden einen Zugang hatte.

Lange ließ sie das heiße Wasser regungslos und mit geschlossenen Augen über ihren Körper laufen. Erst als die Kälte aus ihrem Körper vertrieben war, begann sie sich einzuseifen und die Haare zu waschen. Nach über zwanzig Minuten stieg sie erst wieder heraus und wickelte sich in ein großes Handtuch. Anschließend zog sie aus dem Kleiderschrank ihrer Schwägerin neben der Unterwäsche noch eine Trainingshose und ein bequemes Sweatshirt. Damit ging sie langsam wieder die Treppe hinunter.

Paul saß im Wohnzimmer, während Annie in der Küche wirbelte und grade das Abendessen zubereitete.

"Da bist du ja wieder. Hast du Hunger, Castor?", fragte Annie freundlich.

Cat schüttelte den Kopf, obwohl sie wusste, dass Peters Mutter das nicht sehen konnte. "Nein danke", sagte sie nur matt. Ihre Glieder fühlten sich jetzt, da sie wieder aufgewärmt waren, schrecklich schwer und müde an.

"Geh doch zu Paul ins Wohnzimmer, das Essen dauert noch eine Weile. Vielleicht hast du ja dann etwas Appetit", empfahl Annie und wandte sich dann wieder ihren Töpfen zu.

Cat war das alles ziemlich unangenehm, und wenn sie jetzt zu Paul ginge, würde sie sich erklären müssen, wozu sie absolut keine Lust hatte. War es nicht schon schlimm genug, dass die beiden überhaupt mitbekommen hatten, dass es Stress zwischen ihr und Peter gab?

Sobald sie an den Streit mit Peter dachte, fing sie schon wieder an wütend zu werden, ihr Rücken versteifte sich, ihre Zähne pressten sich aufeinander. Kein Funken ihrer glühenden Wut war in der ganzen Zeit erloschen, sie war nach wie vor unendlich sauer darüber, dass Peter ihr offenbar nicht zutraute, sich allein in der Stadt bewegen zu können.

Unauffällig beobachtete Paul hinter seiner Zeitung, wie Cat langsam zu ihm kann, sich auf einen Sessel setzte und die Beine anzog. Zunächst tat er so, als würde er den Artikel noch zu Ende lesen, obwohl sein Augenmerk schon längst darauf lag, die junge Frau zu beobachten und herauszufinden, was denn eigentlich passiert war. Endlich legte er das Papier beiseite.

"Worüber habt ihr euch gestritten?", fragte Paul mit leiser, verständnisvoller Stimme, sah aber, dass es in Cats Blick sofort wieder zu glühen anfing.

"Paul, ich... ich danke dir, dass du mich aus dem Regen geholt hast. Aber ich hab schon zwei von euch gegen mich, und du würdest ihnen vermutlich auch noch zustimmen", sagte sie so ruhig wie möglich. Paul hatte ihr nichts getan, ebenso wenig Annie, deshalb versuchte sie, nicht unfair oder verletzend zu werden.

"Kermit auch?", griff er auf ihre Aussage zurück. Sie nickte nur. Paul seufzte deutlich hörbar.

"Ich weiß nicht, ob ich zustimmen würde, wenn du mir nicht erzählst, was denn überhaupt los war. Und außerdem wird es davon nicht besser, wenn du deinen Ärger in dich rein frisst", sagte er freundlich, aber bestimmt.

Cat rollte die Augen, aber sie kam nicht umhin, sich geschlagen geben zu müssen. Ihre Schwiegereltern hatten allein an diesem Tag schon wieder soviel für sie getan, irgendwie war sie ihnen das schuldig.

"Es ging eigentlich nur drum, dass ich gestern Abend nach einem Konzert noch mit jemandem, den ich dort kennengelernt hatte, was trinken gegangen bin. Es war völlig unverfänglich und einfach ein netter Abend, aber Peter ist ausgerastet und hat mir vorgeworfen, dass es viel zu gefährlich war und sonst was hätte passieren können. Und dann kam noch Kermit und hat ihm natürlich zugestimmt. Dazu muss man sagen, dass der Mann, den ich kennengelernt hatte, seit heute Mittag sein neuer Kollege ist und die beiden wohl schon aneinandergerasselt sind", führte Cat aus und steigerte sich mit jedem Satz schon wieder in ihren Ärger hinein. Sie fühlte sich so ungerecht behandelt, dass sie jetzt eigentlich nur drauf wartete, dass Paul sich auch auf Peters Seite stellte.

Der aber atmete zunächst tief durch und dachte über ihre Worte nach, ehe er einen Kommentar dazu abgab. Ein Lächeln verbreitete sich auf seinem Gesicht.

"Das scheint in der Familie zu liegen", sagte er und bewirkte damit, dass Cat fragend die Stirn kraus zog.

"Was glaubst du, wie oft ich das vor allem in der Anfangszeit unserer Beziehung mit Annie hatte. Peter, Kermit, ich; wir leben ein gefährliches Leben, wir haben viele Feinde, wir wollen die, die wir lieben, beschützen. Und manchmal schießen wir dabei über unser Ziel hinaus."

"Ich weiß ja, dass er nur mein Bestes will... aber trotzdem will ich nicht behandelt werden wie ein kleines dummes Kind! Verdammt noch mal, ich bin erwachsen, ich kann auf mich aufpassen! Wofür hat er denn mit mir trainiert, wenn ich mich trotzdem nicht frei bewegen soll?"

Ihr Ärger war jetzt wieder deutlich spürbar, und Paul konnte ihn nachvollziehen. Oft hatte er sich früher mit Annie aus ähnlichen Gründen gestritten, weil er nicht sehen wollte, wie eigenständig sie trotz ihrer Blindheit war, weil er dachte, sie immer beschützen zu müssen. Dabei hatte er allerdings vergessen, dass sie ein selbstständiger Mensch war, der sich auch in dieser gefährlichen Welt sehr gut zurechtfand.

"Genau das meinte ich mit 'über das Ziel hinaus schießen'. Peter hat große Angst, dass den Menschen in seinem Umfeld etwas passiert, vor allem dass er die Verantwortung dafür tragen könnte. Und deshalb versucht er, jeden und alles zu schützen, ohne dabei auf sich selbst zu achten. Dabei vergisst er dank seines Temperamentes ganz gerne mal, dass er es übertreibt."

Bevor Cat etwas erwidern konnte, rief Annie zum Essen. Auffordernd sah Paul seine Schwiegertochter an.

"Danke, ich habe wirklich keinen Hunger", entgegnete diese.

Er nickte schließlich und meinte, dass sie sich ja nach dem Essen weiter unterhalten konnten. Damit verließ er sie und erzählte seiner Frau im Esszimmer anschließend, was denn eigentlich passiert war. Sie stimmte mit ihm überein, dass Peter es übertrieben hatte.

"Ich werde sie fragen, ob sie mir beim Abwasch helfen möchte, vielleicht mag sie es mir ja auch erzählen", sagte Annie schließlich, als sie ihren leeren Teller in die Spüle trug. Paul nickte und folgte ihr dann, erst zur Spüle, dann ins Wohnzimmer.

"Oh, sie ist eingeschlafen", sagte die blinde Frau und blieb mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht stehen.

Paul sah sie groß an, er konnte natürlich sehen, dass Cat mit abgeknicktem Kopf und geschlossenen Augen im Sessel kauerte, aber woher wusste Annie das schon wieder sofort?

"Ich trage sie nach oben", kommentierte er und setzte es sogleich in die Tat um.

Castor war so erschöpft, dass sie nicht mal aufwachte, als Paul sie hochhob, die Treppen rauf trug und in Kellys Bett wieder ablegte. Sie hustete nur ein paar Mal im Schlaf auf dem Weg. Vorsorglich legte er ihr die Hand auf die Stirn und stellte fest, dass sie etwas warm war, aber noch nicht besorgniserregend. Es war auch nicht verwunderlich, dass sie sich bei ihrem Spaziergang in schlechtestem Herbstwetter eine Erkältung eingefangen hatte.

"Rufst du Peter an?", fragte Annie, als er die Treppe wieder runter kam.

"Ja, das mach ich. Er wird nicht begeistert sein, wenn sie hier übernachtet. Er hat ein furchtbar schlechtes Gewissen."

"Natürlich hat er das. Er ist dein Sohn", sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln und spielte auf Pauls Verhalten an, wenn er sich ihr gegenüber mal daneben benommen hatte. Er drückte ihr einen liebevollen Kuss aufs Haar und ging dann zum Telefon.

* * *

Kermit rieb sich die Augen. Er hatte über seinen neuen Kollegen alles herausgefunden, was es herauszufinden gab, außer der geheimen FBI-Akte; aber das, was er gefunden hatte, war nicht grade viel. Es waren Informationen über Dienststellen, Familie, Wohnsitz, Job in den letzten drei Jahren. Davor gab es nichts. Rein gar nichts. Es war, als hätte Ryan Walker erst dann zu leben angefangen.

Der frühere Söldner sortierte alles noch mal in Gedanken, je mysteriöser der neue Cop wurde, umso weniger glaubte er, dass auch das Treffen mit Cat kein Zufall war. Zudem der Hack nach Peter. Das alles passte überhaupt nicht zusammen; das einzige, was man daraus entnehmen konnte, war dass Ryan Walker alles andere als vertrauenswürdig war. Zudem interessierte er sich für das Ehepaar Caine, welches Kermit mit seinem Leben schützen würde, sollte es je nötig werden.

Genau in dem Moment klopfte es an der Tür und Kermit presste ein tiefes 'Herein' durch die Zähne. Es war genau der Mann, mit dem er sich schon den ganzen Tag beschäftigte und der offensichtlich von Skalany instruiert worden war. Der Cop mit den grünen Gläsern erhob sich und drückte die Tür zu, dann stellte er sich vor Walker, seinen Körper bedrohlich anspannend.

"OK, Schluss mit dem Versteckspiel! Wer zur Hölle sind sie?", knurrte Kermit seinem Gegenüber ins Gesicht. Aber wieder ließ sich dieser nicht einschüchtern und hob nur scheinbar ahnungslos die Schultern.

"Ich weiß nicht, was sie meinen", log er leichthin.

"Oh doch, das wissen sie! Und sie werden es mir jetzt sofort sagen!"

Kermit beobachtete eine Veränderung im Gesicht seines Gegenübers, es wurde auf einmal undurchsichtig und hart, die Augen nahmen die Kälte eines blauen Gletschers an, dessen Farbe sie ohnehin hatten. Aber Ryan sagte keinen Ton, hielt nur die Haltung und den Blick aufrecht und versuchte Kermit so davon abzuhalten, irgendetwas Falsches zu tun.

Dem früheren Söldner platzte der Kragen. Er packte Walker fest am Hemd und wollte ihn mit dem Rücken an die Wand drücken, um ihn in fast schon gewohnter Pose mit seinem Unterarm an der Kehle endlich zum Reden zu bringen. Der Angriff wurde allerdings vereitelt, denn der blonde Cop schlug seine Arme weg und stand blitzschnell neben ihm, seine Faust nur einen Millimeter von Kermits Jochbein in der Luft schwebend. Das hatte den dermaßen überrascht, dass er nicht mal die Zeit gefunden hatte, auch nur zu zucken.

Der angedrohte Schlag war mit solch einer Präzision abgestoppt worden, dass Kermit sogar die dünnen Härchen der Finger auf seinem Gesicht spüren konnte. Dieser Kerl war eindeutig kein normaler Cop. Er sah ihm in die Augen, und ihm schlug ein kalter, drohender Blick entgegen.

"Sie sollten sich mit niemandem anlegen, den sie nicht schlagen können!", zischte Ryan leise, aber eindringlich. Dann trat er einen Schritt zurück und ließ seine Faust sinken, als wäre nichts vorgefallen. Urplötzlich stand wieder der Sunny Boy vor ihm, der an diesem Mittag seinen Dienst angetreten hatte, mit demselben warmen Blick und dem charmanten Gesichtsausdruck.

"Wer zum Teufel sind sie?", flüsterte Kermit gedrungen, aber so bedrohlich wie selten zuvor.

Das, was dieser Kerl grade abgeliefert hatte, war weit über das normale menschliche Reaktionsvermögen hinausgegangen, selbst von Peter war er so was nicht gewohnt.

"Ich bin ein Cop, genauso wie sie. Ich mache nur meinen Job", sagte er ernst.

Kermit grinste humorlos und schüttelte spöttisch den Kopf. "Sie sind alles Mögliche, aber sicher kein normaler Cop! Und ich will verdammt noch mal wissen, WAS sie sind!", knurrte er böse.

Ryan grinste jetzt auch, eiskalt und berechnend. "Vielleicht. Aber selbst wenn, Griffin, ist das absolut nicht ihre Liga. Sie müssen sich mit dem abfinden, was in meiner Akte steht, denn die haben sie sich sicher als erstes angesehen."

"Hab ich. Aber da steht nichts drin."

"Freuen sie sich doch, immerhin HABE ich eine", deutete er sein Wissen ums Kermits Person an.

Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich hatte dieser Mann ihn im Gegenzug überprüft, die Frage war nur, wie viel er hatte rausbekommen können. Wenn ihm dieselben Mittel zur Verfügung standen wie den Männern, die seinen Angriff auf den FBI-Server abgewehrt hatten, dann konnte es dennoch einiges sein. Eigentlich räumte er sehr gut hinter sich auf und ließ nicht zu, dass andere etwas erfuhren, aber bei diesem Kerl war er sich jetzt nicht mehr so sicher.

"Aber da steht nichts drin! Was ist mit der Zeit von vor den letzten drei Jahren?", fragte er und ging jetzt vollends auf Konfrontation.

Ryan Walker schüttelte den Kopf und lachte kurz und absolut humorlos. "Verdammt, Griffin! Ich bin auf ihrer Seite, wir kämpfen für dieselbe Sache. Was früher war, interessiert nicht." Er sah ihn intensiv an. "Genauso wie bei ihnen!"

Kermit starrte ihn fest an, aber seine sonst so effektive, bedrohliche Erscheinung prallte an Ryans blauen Augen und dem harten Blick ab und zersprang. Aber dennoch hatte er in gewisser weise Recht, sie waren sich tatsächlich in dieser Hinsicht ähnlich, ob er es wahrhaben wollte oder nicht.

"Nur dummerweise dulde ich nur einen Menschen mit unbekannter Vergangenheit in meiner Umgebung; und das bin ich selbst!", gab sich Kermit noch nicht geschlagen. Realistisch gesehen gingen ihn seine Chancen aus, aber das würde er nie nach außen tragen.

"Was ist ihr Problem? Dass sie nicht genug über mich wissen, oder dass ich zu viel über sie weiß? Natürlich habe ich Nachforschungen über sie angestellt, und das sicherlich erfolgreicher als sie. Das ist nur natürlich", sagte Ryan wie selbstverständlich.

Der frühere Söldner fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit in die Ecke gedrängt. Dieser Kerl war ein riesengroßes Rätsel, von dessen Lösung er sich kilometerweit entfernt fühlte. Und das Schlimmste war, dass er Recht hatte. Er hasste es, wenn jemand zu viel über ihn wusste, und er hasste es noch mehr, nicht alles über jemand anderes herausbekommen zu können.

Aber entgegen aller Erfahrungen, die Kermit bisher mit solchen Menschen gemacht hatte, schien Ryan nicht ausnutzen zu wollen, dass er etwas über seine Vergangenheit wusste. Sofern er nicht bluffte. Und daran glaubte der Cop mit der Sonnenbrille nicht mehr wirklich. Sein neuer Kollege trat jetzt auf ihn zu, versöhnlich, aber immer noch angespannt.

"Ich will ihnen nicht auf die Füße treten, Griffin. Ich will sie nicht erpressen und ich will ihnen die Stellung als wohl mysteriösester und härtester Cop auch nicht streitig machen. Ich will einfach nur meine Arbeit machen, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie verbringen und das ein oder andere Rock-Konzert besuchen. Soviel zu meiner Lebensplanung", sagte er mit hochgezogenen Brauen.

Ryan Walker wusste genau, dass Kermit ihm nicht im Geringsten glaubte, geschweige denn über den Weg traute. Nach allem, was er über ihn erfahren hatte, wunderte ihn das auch nicht, dennoch würde sich der frühere Söldner damit abfinden müssen. Er erinnerte sich an den letzten Cop, der zu tief in seiner Vergangenheit gebohrt hatte; und hoffte, dass Kermit es bleiben lassen würde.

Der musterte ihn noch immer argwöhnisch. Er musste Walker lassen, dass er clever war. Er hatte alles zugegeben ohne wirklich was zu sagen, aber damit ihm den Wind aus den Segeln genommen. Kermit stand genauso unwissend wie vorher da, aber Ryan hatte sich behauptet.

"Wollen sie sich jetzt weiter mit mir anlegen, oder wollen sie den Mörder des Mädchens von gestern Abend suchen und festnehmen?" holte Ryan ihn wieder aus seinen Gedanken zurück und erinnerte ihn daran, warum sie eigentlich hier waren.

Kermit konnte ein Knurren nicht unterdrücken, er musste sich zwangsläufig für den Moment geschlagen geben und sich wieder seiner Arbeit zuwenden; mit einem Partner, dem er nicht im Geringsten vertraute.

 

Teil1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 Epilog

zurück zum Autoren Index      zurück zum Story Index