Teil 24
Autor: Ratzenlady
 

Kermit tippte weiter auf seiner Tastatur rum, konnte aber keine Hinweise finden. In Atlanta verlor sich die Spur, und er merkte, wie seine Hoffnung auf Haley Walker größer wurde. Ungeduldig schaute er auf die Uhr. Er würde vermutlich bald abgelöst werden, und wollte vorher gern einen Hinweis haben, um eventuell schon was unternehmen zu können. Vom großen Glück, dass sie den aktuellen Aufenthaltsort kannte, ging er aber nicht aus.

Peter saß am Esstisch mit einem Block und einem Stift. In gleichmäßigen Abständen hörte man leise Flüche und das Zerknüllen von Papier. Schon seit über einer Stunde versuchte er in Worte zu fassen, was er Cat alles sagen wollte, um sie zu trösten und ihr beizustehen. Aber keine Zeile, die er schrieb, konnte es ausdrücken und landete deshalb im Müll. Resignierend stand er auf und kam ins Wohnzimmer.

"Hast du was Neues?", fragte er zu Kermit gewandt und schüttete sich seine Tasse aus der Thermoskanne auf dem Tisch voll.

"Nein, leider nicht. Aber ich warte noch auf einen Anruf."

"Von wem?", hakte Peter sofort überrascht nach.

Kermit grinste kurz. "Staatsgeheimnis. Es ist auch nicht sicher, dass was bei rauskommt, aber einen Versuch ist es wert."

Peter nickte nur müde und ging dann wieder zu seinem nicht mal angefangenen Brief. Er war noch mal oben gewesen, hatte nur die Tür geöffnet, gesehen dass sie noch immer am Fenster stand und war aus eigener Hilflosigkeit wieder gegangen.

Was sollte er ihr sagen? Wie sollte er seine eigenen Gefühle beschreiben; darstellen, wie leid ihm das alles tat? Welche Worte benutzte man, wenn man sprachlos über so viel Schrecken war?

Kermits Handy riss ihn aus den düsteren und selbstzerfressenden Gedanken. Der Ex-Söldner blickte aufs Display, das wieder keine Nummer anzeigte, meldete sich aber dennoch unverbindlich.

"Griffin."

"Ich weiß. Ich habe ihren George mal unter die Lupe genommen", sagte Haley Walker und machte eine kurze Pause. "Sie hatten vollkommen Recht, er ist über Atlanta aus der Schweiz eingereist. Im direkten Anschluss ist er mit einem Greyhound nach Sloanville. Weiter weiß ich leider nicht sicher, wo er steckt. Allerdings weiß ich, wo er sich früher hier niedergelassen hatte und ich habe noch seine Biographie, wenn sie daran interessiert sind."

"Immer her damit!" sagte Kermit sofort und zog sich Papier und Stift herbei.

"Unserem Wissen nach ist sein richtiger Name Georgi Vladimir Nikolov. Dreiundvierzig Jahre alt, geboren in Moskau, im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern wegen politischer Verfolgung in die Staaten geflohen. Als er neunzehn war, kamen sie bei einem Bootsunfall ums Leben. Soviel zu seiner Vita. Ich habe in unseren Aufzeichnungen auch die beiden Kreuzungen mit Peter und dem 101. Revier gefunden, aber das kennen sie ja alles. Die letzten vier Jahre war er vom Erdboden verschluck."

*Im Wahrsten Sinne des Worte*, sagte Kermit unwillig in Gedanken, es fiel ihm immer noch schwer, das zu glauben.

"Schon mal danke bis hier hin. Und die Adresse, von der sie gesprochen haben?", fragte er und zog damit die erhöhte Aufmerksamkeit von Peter und Paul auf sich.

"Eine schicke kleine Dachgeschosswohnung im East End. 5596 Washington Drive. Aber ich weiß nicht, ob er dorthin zurückgekehrt ist", beendete sie ihre Ausführungen.

"Das werde ich gleich herausfinden!", meinte Kermit finster, "noch mal viele Dank!"

"Kein Thema. Ach, und machen sie sich keine Gedanken wegen Ryan, ich werde es ihm erzählen, wenn er heimkommt. Sie müssen sich da also nicht auf die Zunge beißen. Bye."

"Bye", beendete Kermit das Gespräch.

"Was ist? Du hast eine Adresse?", fiel Peter sofort über ihn her.

Kermit grinste sein böses Wolfsgrinsen. "Oh yeah!"

"Worauf warten wie dann noch?"

"Auf die Ablösung", sagte er fest und warf einen demonstrativen Blick zur Zimmerdecke.

Peter war entzwei gerissen; zum einen trieb seine Wut ihn an, sofort diese Wohnung zu stürmen und George zu erwischen, zum anderen hatte Kermit absolut Recht, der Polizeischutz musste gewährleistet bleiben. Zwar hatte Paul auch eine Waffe im Haus, aber zwei ausgebildete Beschützer waren besser als einer!

Passend dazu hörten sie jetzt einen Wagen kommen, und Kermit erkannte schon an dem starken Motorgeräusch, wer ihn ablösen würde. Dennoch ging er zunächst zum Fenster und entdeckte die gelbe Viper in der Auffahrt, aus der sich Ryan grade sportlich hinaus schwang. Er konnte nur hoffen, dass seine Ablösung nicht mit Paul aneinandergeraten würde.

"Der!", knurrte der frühere Captain auch schon wenig begeistert.

Kermit wechselte einen kurzen Blick mit Peter, dann drehte er sich zu Paul. "Nimm's mir nicht übel, aber Ryan ist der Beste, den du hier haben kannst", meinte er geheimnisvoll und ging dann zur Haustür, um sie ihm zu öffnen. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört.

"War irgendwas los?", fragte er Kermit direkt.

"Nix."

"Gut. Wir haben mit Monahan gesprochen, die Sache ist genehmigt", erzählte Ryan, während Kermit ihn ins Wohnzimmer führte.

"Auch gut. Paul kennst du ja schon. Das hier ist seine Frau, Annie Blaisdell", stellte der Ex-Söldner vor, Ryan begrüßte sie freundlich und gab ihr die Hand.

"Ich werde heute Abend von Jody abgelöst, du kannst also erstmal schlafen gehen", meinte er, bemerkte aber den Blickkontakt zwischen Kermit und Peter.

"Später vielleicht."

"Wo wollt ihr hin?", hakte er argwöhnisch nach.

Er merkte deutlich, dass irgendwas im Busch war. Kermit dachte an Haley und dass Ryans Reaktion vermutlich nicht begeistert wäre.

"Ich habe einen Tipp mit einer früheren Adresse von George bekommen. Und da werden wir jetzt hinfahren!" sagte Kermit und wandte sich zur Tür. Walker sagte nichts, schaute ihnen aber äußerst misstrauisch hinterher.

"Wo ist Cat?", fragte Ryan jetzt Paul, nachdem Peter, mit einem traurigen Augenaufschlag nach oben, und Kermit gegangen waren.

"Oben. Sie möchte allein sein. Und ICH möchte, dass SIE sich daran halten!", machte er sofort deutlich, wer der Herr im Haus war.

Ryan nickte und sah sich um. "OK. Ich werde mich draußen mal umsehen gehen und mir einen Überblick über die Umgebung verschaffen. Schließlich bin ich zum ersten Mal hier", sagte er und trat über die Terrasse nach draußen.

Paul sah ihm grimmig hinterher und dachte über Kermits Worte nach; irgendwas steckte dahinter, was er noch nicht wusste.

Ryan sah sich um. Wenn man verhindern wollte, dass jemand unbemerkt rein kam, musste man ein Haus und die Umgebung mit dessen Blick untersuchen. Ebenso, wie wenn man selbst hinein musste und auf der anderen Seite stand. Oft genug hatte er sich Zutritt zu bewachten Villen verschafft, meistens ohne jemanden aufzuschrecken.

Das Gelände war offen. Zwar gab es nur die eine Zufahrt, aber dennoch konnte man von allen Seiten ran kommen, wenn man denn wollte. Ein Traum für jeden Einbrecher oder Attentäter. Aber Ryan glaubte nicht, dass George mit einer Armee kommen würde, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt, und dementsprechend war er relativ unbesorgt, wenn auch trotzdem angespannt.

Mit fachmännischem Blick betrachtete er das Haus, nahm jede Rosenranke und jedes Fenster wahr, merkte sich alles. Wenn er später fertig war, würde er einen kompletten Plan im Kopf haben, wo sich eventuelle Angreifer Zutritt verschaffen könnten. Auch diese Fähigkeit hatte man ihm beigebracht.

Ryans Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Die Trainingszeit war unglaublich hart gewesen, nicht nur körperlich, auch seelisch. Brutalst wurden immer wieder die gleichen Antworten und Abläufe erwartet, Tag wie Nacht, plötzlich beim Essen oder wenn man mitten aus dem Schlaf gerissen wurde. Das hatte nichts mit Action und Spaß zu tun. Es war die Hölle. Leider hatte er das zu spät erkannt.

Später, als man sie für 'fertig' erklärt hatte, da begann das Leben erst wieder lebenswert zu werden. Zwar bekamen sie strikte Anweisungen von oben, hatten aber sonst freie Hand, planten die Missionen selbst, führten sie durch. Das Team wuchs schnell zusammen, auch wenn keiner sich getraut hätte, es Freundschaft zu nennen. Dafür starb man einfach zu schnell in diesem Job.

Aber er hatte sich freiwillig dazu entschieden, wollte das große Abenteuer und die tiefe Spionage. Ums Geld war es nie gegangen, davon hatte er mehr, als er ausgeben konnte. Wenn er ehrlich zu sich war, dann wollte er sich einfach lebendig fühlen, und dafür brauchte er die Extreme, den körperlichen Schmerz, die Anstrengung bis zum Umfallen. Er musste sein Herz bis zum Hals schlagen hören, damit er glauben konnte, dass es tatsächlich funktionierte.

Warum das so war, konnte er sich selbst kaum erklären. Seine Eltern waren früh gestorben, und er war allein in einer Heerschar von Erziehern und Bediensteten aufgewachsen. Der Traum eines jeden Kindes, und dennoch hatte er sich irgendwie tot gefühlt. Leere hatte ihn ausgefüllt und ihm seine Freude geraubt, es gab nichts, wofür es sich zu leben lohnte, schließlich hatte er bereits alles.

Und dann kam Haley. Urplötzlich konnte sie sein Verlangen nach lebensmüden Aktionen mit einem einzigen Kuss stoppen und in Luft auflösen, urplötzlich hatte er Angst, etwas zu verlieren, sollte er drauf gehen. Sie hatten schon einige Jahre zusammengearbeitet, bis sie sich näher gekommen waren. Danach hatte es noch zwei Jahre gedauert, bis sie die Entscheidung für ein Leben als Familie getroffen hatten, das sie zusammen verbringen wollten. Ohne den Tod, der stetig auf der Türschwelle stand und darauf wartete, eingelassen zu werden.

Ryan schüttelte kurz den Kopf und kam in die Gegenwart zurück. Erstaunt stellte er fest, dass er das halbe Haus umrundet hatte; und, -was viel beachtlicher war-, trotz seinem Ausflug in die Vergangenheit alles mit den Augen aufgenommen und abgespeichert hatte.

Als er das nächste Mal am Haus empor blickte, entdeckte er Cat, die am Fenster stand und leer in den grauen Himmel starrte. Er kannte sie noch nicht lange, aber ihr Schicksal traf ihn hart. Er war sich ziemlich sicher, dass ihre Musikliebe die seine noch um einiges übertraf, und deshalb war Taubheit vermutlich das Schlimmste, was hatte passieren können.

Blass, wie ein Geist in einem Horrorfilm, stand sie in der herbstlichen Düsternis und regte sich nicht. Stumme Tränen konnte er auf die Entfernung grade so auf ihren Wangen sehen, und unzählige ungeweinte noch in ihren so unglaublich traurigen Augen.

* * *

Auch George stand am Fenster und blickte über die Stadt, in die er nach so langer Zeit endlich für seine Rache zurückgekehrt war. Es fiel ihm schwer, jetzt einfach nur abzuwarten, aber er wollte sie bangen lassen, was als nächstes passieren würde. Heute Nacht, wenn seine Mitarbeiter wiederkamen, dann würde es weitergehen. Waren 24 Stunden zu kurz? Vielleicht. Aber viel länger konnte er auf seinen nächsten Schritt nicht warten, zu lange hatte er verharrt und geplant, über Jahre, jetzt war es an der Zeit aktiv zu werden.

Die Dunkelheit dieses verregneten Tages spiegelte sehr genau das wieder, wie es in seinem Inneren aussah. Als er in dieser Schlacht gefangen war, hatte es nur Licht gegeben, und in ihm war es immer dunkler geworden. So schwarz wie der Tod selbst war seine Seele, und er wusste sehr genau, wer daran Schuld trug. Und diese Schuld würde er nun einfordern, und sie würde mit Blut bezahlt werden.

Als er nach unten auf die Straße blickte und den Verkehr beobachtete, sah er die grüne Corvair von Kermit Griffin. Ein böses Grinsen umspielte sofort seine Lippen. Vielleicht musste er doch nicht bis heute Nacht warten, um seinen nächsten Trumpf ausspielen zu können. Eigentlich sollte es viel später kommen, eigentlich war er davon ausgegangen, dass sie länger brauchen würden, um die Wohnung zu finden. Wenn überhaupt.

Er beobachtete die beiden Männer, vor allem Peter, sein Hauptopfer, wie sie ausstiegen. Sie unterhielten sich kurz über das Wagendach hinweg, schauten sich um, zeigten auf das Gebäude und gingen dann auf den Eingang zu. Dort verlor er sie aus dem Blickfeld und konnte nur noch warten. Ganz ruhig stand er am Glas und mahnte sich selbst, geduldig zu sein. Beschleunigen konnte er es nicht mehr.

Seine Waffe, nur für den Notfall, lag vor ihm auf einer kleinen Anrichte. Aber er hoffte, dass sein Plan soweit aufgehen würde, dass er sie nicht brauchte. Das, was jetzt gleich passieren sollte, war eine Spielerei seinerseits, etwas nichts notwendiges, etwas, das außerhalb der Kette seines Plans stand. Aber wenn Peter und Kermit diesen Schritt vom Weg ab machen wollten, sollte es ihm nur recht sein.

Er wartete. Wie viele Sekunden noch, bis die Falle zuschnappte? Oder würden sie sie durchschauen? Er glaubte nicht daran. Sie waren viel zu wütend, um vorsichtig zu sein, um die winzigen Anzeichen, die sich leider nicht vermeiden ließen, zu entdecken.

Dauerte es wirklich so lange, bis man die fünf Etagen hochgestiegen war? Oder waren sie doch achtsamer, als er gedacht hatte? Immerhin waren sie Cops, oder zumindest mal gewesen, und wussten, wie man so etwas machte und sicherte. Aber selbst wenn, hieß das nicht, dass sie nicht trotzdem auf das hereinfielen, was er für sie vorbereitet hatte.

George fuhr sich über die Narben in seinem Gesicht, sein Blick verfinsterte sich. Es dauerte ihm zu lange, und Geduld war noch nie seine Stärke gewesen, auch wenn er nach außen immer ruhig und souverän gewirkt hatte. Aber das war in einem früheren Leben gewesen, das schon lange der Vergangenheit angehörte. Er war jetzt ein anderer Mensch, immer noch getrieben von Gier, ja, aber jetzt war es nicht mehr die Gier nach Geld, sondern die nach Rache und Vergeltung an Peter Caine.

 

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