Teil 21
Autor: Ratzenlady
 

Kaum dass Ryan sie verlassen hatte, waren alle Augenpaare auf Kermit gerichtet, der sie als unangenehmen Druck empfand. Besonders Pauls und Peters Blick lastete heftig auf ihm und wirkte überaus fordernd.

Er hatte wegen Ryan ein schlechtes Gewissen, ihm war klar, dass er eindeutig überreagiert hatte und sein Verhalten einem Profi nicht grade würdig war. Vor allem hatte er ihn in Bedrängnis gebracht, obwohl er die Akten gelesen hatte, obwohl er genug von solchen Dingen verstand, um zu wissen, dass sein neuer Kollege absolut Recht hatte: So funktioniert das nicht.

Ryan hatte dem FBI den Rücken gekehrt und vermutlich schon genug auf sich genommen, um zu verhindern, dass er selbst, Kermit, seinen Job verlor oder gar auf einem Friedhof landete. Und jetzt stellte er ihn bloß.

*Super gemacht*, schoss es ihm anklagend durch den Kopf. Er hatte richtig Mist gebaut, dieses Mal, und keine Ahnung, wie er wieder rauskommen sollte. Sollte er seine Freunde und Kollegen anlügen, ihnen eine hanebüchene Geschichte auftischen? Denn die Wahrheit konnte er nicht sagen, nicht ihnen allen, dann war sein Leben vermutlich tatsächlich besiegelt.

Wenn es nur Peter und Paul wären… dann vielleicht. Aber so auf keinen Fall! Er musste sich jetzt schleunigst einen Plan zurechtlegen, wie er möglichst unbeschadet wieder aus der Sache raus kam und die sprichwörtliche Suppe auslöffelte. Brennend spürte er die Blicke auf sich, die eine Erklärung von ihm hören wollten.

"Kermit?", forderte Paul grimmig auf, endlich Stellung zu dem zu nehmen, was sich grade im Krankenhausflur zugetragen hatte.

"Was war das grade?", hakte jetzt auch Peter nach, seine Stimme war überaus aggressiv und drohend, so als wäre er bereit, ihn notfalls gewaltsam dazu zu bringen, sich endlich zu erklären.

Kermit lief die Zeit davon, und trotzdem wusste er noch nicht, was er sagen sollte, als er den Mund aufmachte. "Hört zu Leute, das… das war Nichts", unternahm er einen lahmen Versuch, dessen Scheitern von vorn herein klar war. Die Blicke, die ihm jetzt zugeworfen wurden, machten es überdeutlich.

"Das sah aber nicht nach Nichts aus!", donnerte ihm Peter entgegen, der die Worte schon durch die zusammengebissenen Zähne presste und zunehmend ungeduldig wurde.

Kermits Blick schweifte zwischen ihnen hin und her; er hatte nicht nur Ryan in Bedrängnis gebracht, sondern auch sich selbst.

"Kermit, mach den Mund auf, oder…", knurrte Peter, seine Brust hob und senkte sich heftig und wütend.

"Oder was? Hör zu Peter, es ist… es ist wie Ryan sagte: frag besser nicht", sagte Kermit ruhig und biss sich zeitgleich auf die Zunge.

Nein, er konnte Peter nichts vormachen oder ausweichende Erklärungen geben. Der Shaolin schoss jetzt vor und packte seinen Freund am Kragen, zog ihn heftig zu sich, ganz nah vor sein Gesicht, in seinen Augen stand blanker Zorn.

"Sag – mir – jetzt – sofort – was – das – alles – soll!", zischte er, dann ließ er Kermit los.

Dem gefiel es überhaupt nicht, aber er ließ seinen völlig verstörten Freund gewähren, so mit ihm umzuspringen. Er warf einen Blick zu den anderen, dann packte er ihn am Oberarm und zog ihn von ihnen fort.

"Komm mit", sagte er nur knapp und sprach erst weiter, nachdem sie einige Meter überbrückt hatten. Er blickte noch mal zurück, und vor allem Pauls Blick zeigte Unzufriedenheit und eine Menge Fragezeichen.

"Sagst du mir jetzt endlich, was hier los ist?", sagte Peter ungeduldig und breitete die Arme aus.

Kermit nickte. "Hör zu, Peter. Ich habe da eben ziemlich Scheiße gebaut, Ryan so anzugehen. Aber da ich schätze, dass du ohnehin dahinter kommen wirst, sobald du deine Shaolin-Prüfung bestanden hast, kann ich es dir auch sagen. Es ist nur, dass ich es nicht einfach so herausbrüllen kann in aller Öffentlichkeit."

"Was zur Hölle willst du mir sagen?"

Kermit warf noch einem Blick über die Schulter, aber sie waren allein in der Ecke des Warteraums. "Ryan ist nicht der, der er vorgibt zu sein."

"Das hast du mir schon mal erzählt und warst schrecklich misstrauisch. Jetzt plötzlich versteht ihr euch blendend. Und vor allem: was hat das alles mit Cat und George zu tun?", verlangte er mit unglaublichem Nachdruck.

"Hör zu, Peter! Ryan hat Beziehungen, von denen ich nur träumen könnte. Er hat Zugriff auf Datenbanken, in denen George vielleicht drinsteht, deshalb hab ich ihn vorhin dazu aufgefordert. Aber eigentlich kann er das nicht mehr, weil er ausgestiegen ist…"

Peter hatte seinen Freund selten so durch den Wind gesehen, was er sagte ergab nicht wirklich Sinn. Dennoch riss ihm jetzt der Geduldsfaden.

"Wo ist er ausgestiegen? Welche Datenbanken? Wovon zum Teufel redest du?", zischte er und fuhr sich durch die Haare, streng beobachtet von seinem Pflegevater und den ehemaligen Kollegen. Kermit rieb sich die Augen.

"Ok, ok. Du hast Recht", sagte Kermit und sah sich ein weiteres Mal um, "Ryan war früher Agent beim FBI."

"Und darum das ganze Geheimnis?", fragte Peter jetzt doch ziemlich verblüfft und skeptisch.

"Er ist aber kein normaler Agent gewesen. Er gehörte zu einer besonderen Einheit, die es offiziell nicht gab. Er hat geheime Aufträge ausgeführt, eine spezielle und harte Ausbildung absolviert, war so eine Art James Bond des FBI", erklärte Kermit.

Peter sah ihn jetzt an, als hätte er den Verstand verloren. Seine Wut war verpufft, vielmehr spürte er jetzt Verwirrung in sich aufsteigen.

"Bitte was?"

"Du hast mich schon verstanden. Genau so ist es, so unglaublich es klingt. Ich habe seine Akte gelesen", erklärte Kermit weiter.

Peter sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. "Und wenn er ist, wer er ist, dann hat er dich seine Akte lesen lassen? Kermit, das ist…"

"…die Wahrheit, Peter. Ja, er hat mich lesen lassen. Er hatte keine andere Wahl, außer vielleicht mich erschießen zu lassen", sagte Kermit und sah Peter über die Brille an, damit dieser die Ernsthaftigkeit in seinen Augen sehen konnte.

Der Blick des Shaolin wurde auch wieder zunehmend ernst. "Das ist unglaublich! Aber gut. Und warum kann er George dann nicht suchen?", fragte Peter und kam damit wieder auf das Thema zurück.

Sofort, allein durch die Nennung des Namens, kamen die Angst und die Verzweiflung zurück, die sich im Gespräch mit Kermit für einen kurzen Moment verabschiedet hatten. Aber jetzt war alles wieder da, kochte hoch, ließ ihn wahnsinnig werden. Die Situation änderte sich, eine Antwort war nicht mehr wirklich nötig, vielmehr brauchte Peter mentale Unterstützung.

"Wir werden ihn finden, Peter", versprach Kermit.

Der junge Mann nickte nur knapp. "Er kann für ihn nur hoffen, dass ihr ihn vor mir findet", flüsterte er leise, aber überdeutlich.

Er brauchte keinen weiteren Kommentar von Kermit bezüglich Ryan Walker; die Sache war klar. Wenn er bei dieser Spezialeinheit ausgestiegen war, das böse Zungen vermutlich als privates Killerkommando des FBI betiteln würden, dann hatte er vermutlich nicht die Möglichkeit wieder zurückzukehren und irgendwelche Informationen anzufordern.

"Soviel zu mir. Was willst du den anderen erzählen? Was willst du PAUL erzählen?", hakte Peter jetzt nach.

Er musste sich auf irgendetwas konzentrieren, um nicht verrückt zu werden; jedenfalls fühlte er sich so. Die Sorge um Cat und ihre plötzlich Taubheit zerfraß ihn spürbar, ließ ihn zwischen Hass und Verzweiflung taumeln wie einen Betrunkenen. Dazu kamen die Schuldgefühle, dass er nicht da gewesen war, nicht rechtzeitig gespürt hatte, was passieren würde. Und warum?

*Wegen dieser gottverdammten Prüfung*, beantwortete er sich selbst zornig in Gedanken. Der Zweck ging ihm allmählich nicht mehr auf. Welchen Sinn machte das alles, wenn er dadurch Schaden nicht verhindern konnte, wenn Menschen die er liebte leiden mussten, wenn er dazu verdammt war, hilflos zuzusehen?

* * *

Ryan stand noch immer in der kalten Nachtluft vor den Türen der Notaufnahme. Er machte ein paar Schritte zur Seite, als ein Krankenwagen die Zufahrt hochkam und einen Verletzten auf der Trage auslud. Durch die sich nun öffnenden Milchglastüren sah er sie alle. Die Cops und Blaisdell im Gang, die zu Peter und Kermit schauten, welche weiter hinten abseits standen. Irgendetwas an der Situation verriet ihm, dass sein Partner dem Shaolin grade die Wahrheit sagte. Er konnte nicht ausmachen, woran diese Ahnung sich festmachte, aber er war sich sicher.

Er kam zu dem Schluss, dass die Flucht nach vorn der einzig sinnvolle Ausweg war. Vielleicht würde es reichen, wenn er es machte, wie beim Captain: Ein bisschen Wahrheit, ein bisschen Lüge, und diese Zutaten zu einem glaubwürdigen Cocktail vermischt. Vielleicht genügte das schon.

Mit einem Seufzen setzte er sich schließlich in Bewegung, trat wieder in den Krankenhausflur und ging auf die kleine Gruppe zu. Die Blicke musterten ihn mit einer Mischung aus Ärger, Argwohn und dem Verlangen nach Antworten. Besonders Blaisdell sah ihn durchdringend an, was ihn persönlich allerdings nicht berührte.

"Ich dachte, sie hätten sich davon gemacht", meinte er zynisch.

Ryan warf einen Seitenblick zu Kermit, der ihn kurz erwiderte und jetzt offenbar abwartete, wie der neue Cop sich aus der Affäre zog. Der atmete tief durch und machte so deutlich, dass ihn dieser Angriff ziemlich in Rage versetzt hatte.

"Ehrlich gesagt, Blaisdell, ist mir ziemlich egal, was sie denken!", meinte er kühl und bekam einen bösen Blick als Retourkutsche.

"Es sollte ihnen aber nicht egal sein! Immerhin geht es hier um meine Schwiegertochter; und sie haben keine Ahnung, mit wem sie sich anlegen!"

Ryan grinste sofort humorlos und stierte ihn an. "Doch, die hab ich sehr deutlich! Und wie sie sehen zittere ich schon vor Angst", blaffte er.

Er konnte die Sekunde der Unsicherheit in Pauls Augen sehen, genau das, was er beabsichtigt hatte. Bring sie ins Schleudern, und sie kommen dir nicht mehr in die Quere. So einfach war es zumindest früher meistens gewesen.

"Ryan? Was geht denn jetzt hier vor? Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Wovon hat Kermit vorhin gesprochen?", schaltete sich jetzt Mary-Margaret fordernd ein, die sich demonstrativ neben Paul stellte, ihn aber so zeitgleich daran hinderte, auf den Kommentar einzugehen.

Ryan warf noch einen unauffälligen Blick zu Kermit und Peter, die mittlerweile wieder in einem Gespräch vertieft waren, dann begann er mit dem, was er sich soeben überlegt hatte.

"Kermit glaubt, dass ich auf eine Datenbank zugreifen kann, an die er nicht drankommt, und das in diesem Verzeichnis vielleicht Hinweise über diesen ominösen George zu finden sein könnten. Dabei hat er aber vergessen, dass ich da nicht mehr so ohne weiteres drankomme", erklärte er.

Blaisdells Blick war sichtlich skeptisch. "Und was für eine Datenbank soll das sein? Ich kann mir kaum eine vorstellen, in die Kermit nicht rein kommt!", wies er deutlich auf die Hacker-Künste seines alten Freundes hin.

Ryan rollte die Augen. "Die des FBI mit höchster Sicherheitsstufe. Und weil ich früher bei dem Verein tätig war, dachte er, dass ich da einfach anrufen und Informationen anfordern könnte."

"Du warst beim FBI? Ich dachte du kommst vom NYPD!", mischte sich Jody wieder ein.

"Ja. Vorher. Ich habe vor gut drei Jahren gekündigt und bin zu den Cops. Seid ihr jetzt alle zufrieden?", fragte er sichtlich genervt und musterte sie.

Die Frauen und auch Blake schienen tatsächlich keine großen Fragen mehr zu haben, aber Paul hatte noch immer einen gewissen Blick in den Augen.

"Und sie hatten Zugriff auf die höchste Sicherheitsstufen? In ihrem Alter? So schnell kann niemand befördert werden! Und im Übrigen: Warum haben sie das nicht gleich gesagt, anstatt auf geheimnisvoll zu machen?", argwöhnte er und traf damit den Kern des Bisschen Lüge, das Ryan in seinen Vergangenheits-Cocktail gemixt hatte.

Kermit hatte Recht gehabt, sie waren nicht so leicht auszuspielen, wie er am Anfang erwartet hatte. Auch die drei Cops sahen ihn jetzt an und stimmten den Fragen ihres ehemaligen Captains stumm zu, auch wenn sie selbst sie nicht gestellt hatten. Nein, sie waren nicht so naiv und gutgläubig wie die Kollegen damals in New York.

"Ich wüsste nicht, welche Rechenschaft ich ihnen schuldig bin. Fakt ist: Heute habe ich keinen Zugriff mehr, unter keinen Umständen! Und um eben dieser sinnfreien Diskussion hier zu entgehen, habe ich eben auf geheimnisvoll gemacht, wie sie es so schön ausgedrückt haben", gab er wieder nur eine halbe Wahrheit preis.

Er wusste, dass seine Angriffstaktik immer Fragen aufwerfen und Misstrauen säen würde, aber das war immer noch besser, als zuzugeben, wer er damals wirklich war. Er konnte allerdings nur hoffen, dass dies das Vertrauen in ihn nicht wirklich beeinträchtigte, aber das FBI stand immerhin auf derselben Seite wie das Police Department, auch wenn man sich untereinander oft spinnefeind war.

Die Diskussion wurde sofort unterbrochen, als der Arzt wieder zu ihnen trat. Aus den beiden Richtungen versammelten sie sich nun um ihn, auch wenn die Aufmerksamkeit seinerseits natürlich bei Peter lag. Dennoch spürte Ryan die unfreundlichen Seitenblicke von Paul, ebenso wie die abschätzenden von Kermit, der schließlich nicht wusste, wie viel Ryan heraus gelassen hatte.

"Was ist nun Doc? Wie geht es ihr?", fragte Peter inzwischen hektisch nach.

Der Blick des Arztes wirkte besorgt. "Sie hat ein Knalltrauma, wie ich vermutet habe. Ausgelöst durch die Explosion. Und da sie geschlafen hatte, also entspannt war, hat das Innenohr quasi einen Schock erlitten", erklärte er ruhig, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass er noch nicht alles losgeworden war.

"Und wie bekommt man das wieder weg? Ich meine, sie wird doch wieder hören können, oder?", fragte der Shaolin weiter.

"Medizinisch gesehen können wir leider nichts machen. In über achtzig Prozent der Fälle aber kehrt das Gehör von alleine vollständig wieder zurück. In den anderen knapp zwanzig nur zum Teil oder eben leider gar nicht."

Peter schien die Andeutung, dass es auch den denkbar schlechtesten Fall gab, auszublenden.

"Und wie lange dauert es, bis sie wieder hören kann?"

"Stunden. Tage. Wochen. Monate. Das kann leider niemand vorhersehen", sagte der Arzt bedrückt. Da Peter nur betreten schwieg und nichts dazu sagte, sprach er weiter.

"Aber wenn ich ehrlich bin, macht mir ihr Knalltrauma nicht die großen Sorgen, sondern vielmehr ihr mentaler Zustand." Fragende Blicke durchbohrten ihn.

"Wir mussten ihr ein Beruhigungsmittel verabreichen, um die Untersuchung durchführen zu können. Ihr Verhalten ist schlagartig von Apathie in Aggressivität gewechselt, als wir angefangen haben. Sie hat um sich geschlagen und geweint, sich vehement geweigert, meine Nachrichten zu lesen. Sie haben es ja vorhin auch im Krankenzimmer erlebt", meinte der Arzt teilnahmsvoll.

Peter nickte wieder nur knapp und fuhr sich dann durch Gesicht und Haare. Womit hatten sie das alles nur verdient? Und warum traf es nicht ihn selbst, sonder seine Frau? Er konnte sich vorstellen, wovon der Arzt gesprochen hatte, und Cats Gemütszustand würde sich in den nächsten Tagen oder Wochen vermutlich nicht verbessern. Solange sie taub war, würde eine verdammt harte Zeit vor ihnen stehen, in der er nur hoffen konnte, dass ihr Gehör möglichst schnell zurückkam.

"Wie geht es jetzt weiter, Doc?", fragte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte.

"Nun, medizinisch gesehen haben wir alles für sie getan. Nachdem wir sie beruhigt hatten, ließ sie sich von mir auch erklären, was überhaupt passiert war, schließlich war sie bewusstlos. Normalerweise würde ich ihnen jetzt aufgrund der Gehirnerschütterung einfach mit auf dem Weg geben, dass sie für ausreichend Ruhe sorgen sollten und dafür, dass sie sich nicht aufregt. Aber unter diesen Umständen wird das kaum möglich sein, nehme ich an. Sollte ihr übel werden oder sie sich erbrechen, bringen sie sie zu einem Arzt oder wieder hierher ins Krankenhaus, aber mehr können wir leider nicht tun. Wenn ihr Gehör zurückkehrt, sollte sie sicherheitshalber auch noch mal von einem Kollegen aus der HNO untersucht werden."

Peter nickte nach jedem Hinweis und jeder Anordnung, aber dennoch war er dankbar, dass er nicht der Einzige war, der sie sich anhörte, weil er sich nicht sicher war, ob er sich das aufgrund der Sorge und der Wut wirklich merken konnte.

"Wann kann sie entlassen werden?", fragte er fahrig.

"Nun, wenn sie möchten, sofort. Wie gesagt, aktuell haben wir alles getan, was wir konnten. Mehr als ihnen alle guten Wünsche mitzugeben, ist leider nicht möglich", erklärte er.

Peter nickte wiederum. "Ich möchte", meinte er zu dem Mediziner und drehte sich dann zu Paul, "wenn es euch keine Umstände macht." Der legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie aufmunternd.

"Natürlich nicht! Annie wird sicher auch noch wach sein, ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, mitzufahren. Aber ich glaube, es war besser so."

Wieder nur ein Nicken zur Antwort. Auch die Wortkargheit des sonst so gesprächigen Mannes machte allen Beteiligten Sorgen.

"Dann werde ich mich um die Papiere kümmern, nur einen Augenblick. Ich wünsche ihnen und ihrer Frau alles Gute, Mr. Caine", sagte der Arzt zum Abschied und verschwand dann durch eine Schwingtür, die zum medizinischen Bereich führte.

Sie sahen ihm nach, aber mehr aus Hilflosigkeit, weil sie nicht wussten, was sie aktuell sonst tun sollten. Peter machte nicht den Eindruck, dass er sich jetzt groß unterhalten oder auch Mut zugesprochen bekommen wollte.

Mit abwesendem Blick starrte er einfach auf das Milchglas, sein Geist war gleichzeitig überfüllt und leergefegt, er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wollte Cat mitnehmen, das war klar, aber wie würde es werden? Würde sie sich trösten lassen? Oder würde sie jeden von sich stoßen und sich vielleicht so sehr aufregen, dass ihre Gehirnerschütterung sich meldete?
Noch wusste er nicht, was alles auf ihn zukommen sollte.

*

Kermit zog Ryan beiseite, nachdem Paul und Peter mit Cat schon aufgebrochen waren; und er war in diesem Moment mehr als dankbar, dass sein Partner seine Augen nicht sehen konnte.

"Sorry. Mir ist da eine Sicherung durchgebrannt", meinte er relativ kleinlaut.

Sein Kollege aber winkte nur ab. "Schon gut, kann passieren."

"Sollte es aber nicht! Verdammt! Du… ich…", entgegnete er wütend auf sich selbst.

"Hör zu, Kermit! Mach dir keinen Kopf! Es ist ohnehin rum. Ich bin cool geblieben, ja, und du nicht. Ändern können wir es nicht mehr. Und außerdem bin ich fast ein bisschen neidisch", meinte er undurchsichtig.

Kermit sah ihn jetzt argwöhnisch über den Rand seiner Brille an, die Aussage machte für ihn grade keinen Sinn.

"Das letzte Mal, als ich ausgerastet bin, ist fast zehn Jahre her. Damals habe ich meinem Ausbilder die Nase gebrochen", erzählte er erstaunlich bereitwillig.

*Und er dafür dich*, fügte Kermit im Geist hinzu, was er in der Akte gelesen hatte, wollte es aber nicht aussprechen. Das reichte einfach zu weit in Ryans Privatsphäre hinein, obwohl das psychologische Profil vor ihm gelegen hatte. Aber der schien dennoch seine Gedanken zu lesen.

"Vier Wochen. Vier Wochen war die Antwort. Danach bin ich nie wieder ausgerastet", sagte er kalt und abschließend.

Kermit konnte die Verbitterung in den Worten hören. Und auch wenn er noch nicht wirklich viel über Ryan wusste, so hatte er doch sehr schnell gemerkt, dass eine kleine Gefühlsregung bei ihm das gleiche aussagte, wie ein Ausbruch bei jedem anderen. Sein Kollege drehte sich derweil einfach herum und verließ das Krankenhaus.

Kermit wollte fragen, von was er da sprach, aber wahrscheinlich war es schlimmer gewesen, als alles was er sich vorstellen konnte. Erst jetzt begriff er, dass Ryans Ausbildung nicht einfach ein Training gewesen war. Es war eine Prozedur, die den Menschen vermutlich ihre Menschlichkeit genommen und sie zu Maschinen gemacht hatte.

Aber sein Partner und dessen Frau schienen noch rechtzeitig den Absprung geschafft zu haben, auch wenn die eingetrichterten Verhaltensweisen wahrscheinlich nicht mehr abzulegen waren, zu tief wurden sie in die Gehirne ihrer Auszubildenden (*oder Opfer*) eingebrannt.

Der Ex-Söldner sah ihm nach. Seine Fähigkeiten waren beneidenswert, aber der Weg dorthin musste unbeschreiblich qualvoll gewesen sein.
Und nicht zu beneiden.


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