Epilog
Autor: Ratzenlady
 

Epilog

Sechs Wochen später waren die Aufbau- und Renovierungsarbeiten am Loft abgeschlossen. Castor war noch immer absolut taub, und auch Besuche bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt waren ohne Ergebnisse. Sie musste geduldig sein, wurde immer wieder gesagt, ihre Chancen stünden aber gut, dass ihr Hörvermögen irgendwann wiederkehrte.

Die Stunden mit Ryan hatten ihre Früchte getragen und inzwischen konnte er in normaler Geschwindigkeit vor ihr gestikulieren, um ihr etwas zu sagen. Auch Übersetzungen von Kermit oder Peter waren nahezu problemlos möglich. Und trotzdem hatte sie Angst, doch für immer taub zu bleiben.

Das warf sie zurück, aber ihr Mann schaffte es inzwischen besser, sie zu verstehen und sie wieder aufzubauen. Der Blick in ihr Herz war ihm wieder möglich, er verstand jetzt wesentlich klarer, was genau es für sie bedeutete, nicht hören zu können. Und er machte ihr Mut, denn es war einfach unmöglich, dass dieser Mistkerl George es geschafft haben sollte, ihr etwas zu nehmen, was nicht mal Gaverton hatte stehlen können. Das konnte und wollte er nicht glauben.

Nachdem sie wieder eingezogen waren und sich zum Teil neu eingerichtet hatten, waren die Tage wieder ruhiger geworden. Zwar stand die junge Frau täglich vor ihren CDs und vergoss manchmal lautlose Tränen, aber es wurde besser. Sie fand sich nicht mit ihrer Taubheit ab, und das würde sie auch nie, aber sie lernte sie zu akzeptierten und damit so gut es ging für den Moment zu leben.

Mit Peter verstand sie sich fast wortlos, er fühlte, was sie brauchte und wollte, sie hatte schnell gelernt, scharf zu beobachten und nahm besser wahr, was ihre anderen Sinne ihr sagen konnten. Von Tag zu Tag gelang es ihr besser, Mimik und Gestik ihrer Umwelt einzuschätzen und zu verstehen, ohne das gesprochene Wort zu hören. Und trotzdem war sie Ryan unendlich dankbar, dass er ihr eine weitere Kommunikationsform beibrachte.

Jetzt befand sie sich in hektischen Vorbereitungen für eine Wiedereinweihungsfeier, die sie und Peter gaben, um mit all ihren Freunden das gute Ende der ganzen Sache zu feiern. Sie freute sich darauf, aber sie war auch unsicher, wie es sich mit ihrer Taubheit unter so vielen Menschen verhalten würde.

Am Tag zuvor hatte sie ihren Mann schon vorgewarnt, dass sie sich vielleicht irgendwann zurückziehen würde, wenn es ihr zuviel wurde. Er hatte ihr Mut gemacht, und auch jetzt, wenn sie an ihm vorbeihuschte, drückte er immer wieder aufmunternd ihren Arm oder ihre Hand oder auch ihren ganzen Körper, je nach dem wie schnell er den Wirbelwind erwischte und für diese Geste festhalten konnte.

Eine halbe Stunde vor der Zeit hielt sie plötzlich inne und schaute sich zufrieden um; sie war fertig. Peter, der Geschirr und vorbereitetes Essen in der Küche arrangiert hatte, sah ihr jetzt tief in die Augen und lächelte. Auch ihre Lippen bildeten ein leichtes Kräuseln, sie freute sich ebenso wie er auf die Party, auch wenn die Unsicherheit nicht ganz zu verdrängen war.

Sanft beugte er sich zu ihr herunter und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn, sie streckte ihm ihr Gesicht entgegen, und er wiederholte die Bewegung auf ihrem Mund. Ihre Augen strahlten einander an, der Blick war intensiver als jemals zuvor und sprach mehr, als sie je mit Worten zueinander gesagt hatten.

"Sollen wir wieder gehen?", scherzte Kermit jetzt, der zusammen mit Jody und Skalany im Flur aufgetaucht war. Sie hielten eine große Pflanze, in Zellophan eingewickelt, die sie als Geschenk mitgebracht hatten.

Nachdem Cat sie alle durch eine Umarmung begrüßt hatte, nahm sie den Topf ab und suchte sogleich einen Platz dafür, denn all ihre Pflanzen hatten den Brand und die anschließenden Bauarbeiten nicht überstanden. Sie zog die Folie ab und stellte den kleinen Flaschenbaum neben das Sofa, besah sich das Arrangement aus ein paar Metern Abstand und nickte dann zufrieden.

Bevor sie ihre ersten Gäste durch die renovierte Wohnung führen konnten, tauchten schon Paul und Annie auf, dann kam Ryan mit seiner Frau und vor allem seiner Tochter, die sofort zum Liebling aller Anwesenden mutierte und an allen Ecken und Enden verhätschelt wurde. Auch der Rest des 101. Reviers kam nach ein paar Minuten später und feierte ausgelassen mit dem Ehepaar Caine die Rückkehr in ihr altes Leben.

Man hatte sich in den letzten Wochen oft gesehen, die Freunde hatten tatkräftig geholfen, aber jetzt war es dennoch eine andere Atmosphäre des Beisammenseins. Es war das Ende von etwas, von dem sie hofften, dass es nie wieder in irgendeiner Form passieren würde. Ein Abschluss, den es zu feiern galt.

Kleine Gruppen bildeten sich in den verschiedenen Räumen, wechselten ständig durch und versanken in leichten Gesprächen. Irgendwann aber standen dann Peter, Paul, Kermit und Ryan zusammen und waren auch noch allein, nachdem Skalany sich in die Küche verabschiedet hatte. Plötzlich legte sich wieder Ernsthaftigkeit über sie.

"Habe ich mich eigentlich schon bei ihnen bedankt?", fragte Paul den neuen Cop, der nicht mehr neu sondern voll akzeptiert war. Die beiden waren sich in der ganzen Zeit und den diversen Aufräum- und Einrichtungsaktionen nicht über den Weg gelaufen. Ein zufälliger Umstand, der diesen Satz vorher nicht möglich gemacht hatte.

"Das müssen sie nicht, Mr. Blaisdell. Ich habe nur meinen Job gemacht", meinte Ryan bescheiden und sah ihn offen an, seine Augen und sein ganzes Gesicht waren entspannt und locker. Kermit musste sich schon wieder fragen, wie es sein konnte, dass er es innerhalb einer halben Sekunde zu einer kalten Maske machen konnte, ohne auch nur einen Gesichtsmuskel anstrengen zu müssen.

~Es sind die Augen~ antwortete Peter in Kermits Kopf, der ihm einen völlig verwirrten Blick zuwarf, obwohl es eigentlich nichts Neues war, dass sein Freund seine Gedanken lesen konnte. Aber er hatte Recht. Ryans Augen waren absolut faszinierend. Eisblau, und je nach Situation auch ebenso kalt, oder aber so warm wie die Sonne.

"Das war eindeutig mehr, als nur seinen Job zu machen", entgegnete Paul auf den Kommentar und musterte Ryan. Es war mittlerweile klar, dass auch Peters Pflegevater wusste, wer er früher mal gewesen war. Zumindest in Ansätzen.

"Und nachdem sie gezeigt haben, was sie können, weiß ich auch, warum man die Akten so nennt wie man sie nennt", sagte Paul weiter und hoffte, ihm vielleicht doch noch die eine oder andere Information entlocken zu können.

Ryan grinste breit. "Nehmen sie es mir nicht für übel", lachte er, "aber sie wissen im Grunde überhaupt nichts. Er aber auch nicht, und er hat sie sogar gelesen." Er zeigte auf Kermit, hob vielsagend die Brauen und verließ sie dann, um zu Haley und Joanna zu gehen, die sich im Wohnzimmer tummelten.

"Was meintest du damit?", fragte Peter jetzt seinen Vater, denn er kannte kein Synonym für das, was Ryan früher beim FBI gemacht hatte.

"Bei den einschlägigen Verschwörungstheoretikern hat sich der Begriff 'Sniper-Akten' für diese angeblichen Spezialeinheiten eingebürgert, weil man annimmt, dass es Killerkommandos sind", erklärte Kermit und verschwieg sein weiteres Wissen darüber, das sein neuer Partner ihm anvertraut hatte. Peter nickte auch nur und fragte nicht weiter nach, ebenso wenig wie Paul.

Der Shaolin hatte dank seiner Kräfte inzwischen auch mehrere Blicke hinter Ryans Augen werfen können, auch wenn es bei ihm nicht so leicht ging wie bei den meisten anderen Menschen. Er hatte das Gute in ihm gesehen, aber auch die Verbitterung und den Schmerz über alles, was in der Vergangenheit passiert.

Auch sie gingen jetzt geschlossen ins Wohnzimmer, wo sich der Großteil der Gäste, der sich nicht grade am Buffet bediente, niedergelassen hatte. Peter suchte sofort nach Cat, die an der Wand lehnte und sich fröhlich mit Haley 'unterhielt'. Sie wirkte noch sehr entspannt und gelöst, trotz des Trubels um sie herum, was den Shaolin selbst einfach glücklich machte. Auch Paul und Kermit lächelten in ihre Richtung und nahmen die positiven Veränderungen freudig wahr.

Niemand bemerkte in dem Moment Joanna, die langsam in Richtung der Wand krabbelte, an der Cat lehnte. Haley nahm die Kleine zwar wahr, konnte aber keine Gefahr ausmachen und machte sich deshalb keine Gedanken darüber. Später würde sie sich selbst tadeln, dass ihre Wahrnehmung nachlässig wurde.

Das Kleinkind bahnte sich seinen Weg zu einer mannshohen Holz-Skulptur, die in der Ecke stand und die Cat in einem Trödelladen erstanden hatte. Jo versuchte sich daran hochzuziehen, wie sie es von zu Hause gewohnt war, dabei geriet der Koloss allerdings in Wanken.

Peter nahm die Bewegung im Augenwinkel wahr und sah erschrocken rüber. Sie kippte in Cats Richtung, die mit dem Rücken dazu stand, und es gab niemanden, der noch nah genug dran war, um sie aufzuhalten.

"CAT!", brüllte er aus voller Kehle, aus Reflex, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass sie nicht hören konnte. Oder vielleicht doch? Sie machte einen erschrockenen Satz beiseite und blickte verwirrt um sich. Sie sah Joanna, sah die Statue da liegen wo sie eben noch gestanden hatte.

Alle schwiegen, es war totenstill. Jeder starrte mit leiser Hoffnung auf die junge Frau, die offenbar auf den Ruf reagiert hatte, obwohl sie taub war. Peter ging zu ihr rüber und nahm sie in den Arm, denn ihr Körper zitterte heftig vor Schreck und Verwirrung. Noch immer wagte niemand ein Geräusch zu verursachen.

Ganz langsam, und unter den Blicken aller Gäste, nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände und hob ihn an, sodass sie ihm in die Augen sah.

"Hast du mich gehört?", fragte er leise.

Sie zog fragend und jetzt ängstlich die Brauen zusammen. Er fühlte ihre Verzweiflung, denn diese Worte waren nicht zu ihr durchgedrungen.

"Hast du mich gehört?", fragte er noch mal unsicher, diesmal aber ziemlich laut.

Ein Strahlen glitt über ihr Gesicht, ihre blauen Augen leuchteten auf wie Kerzen in der Dunkelheit.

Sie hatte ihn gehört.
Und sie hörte jetzt auch den erleichterten und unendlich glücklichen Jubel ihrer Freunde um sie herum, wenn auch wie durch Watte und noch sehr leise.

* * *

Es dauerte noch zwei Wochen, bis sie ihr volles Gehör zurückerlangt hatte, und Peter musste mit Augen wir ein Adler und Ohren wie ein Luchs darauf aufpassen, dass sie den Anweisungen des Arztes Folge leistete und die Lautstärke bei allem, was sie tat und hörte, gedämpft hielt, um ihr Innenohr nicht noch einmal zu schocken.

Sie kam zurück ins Leben, IHR Leben, und stellte zufrieden fest, dass auch dieser George es tatsächlich nicht geschafft hatte, ihr die Musik zu stehlen. Aber das war nicht die einzige Erkenntnis, welche die junge Frau dieser Tage ereilte.

Cat wusste jetzt, dass es ZWEI Dinge in ihrem Leben gab, die ihr niemand nehmen konnte, und nur eines davon war ihre Musik. Das andere war Peters Liebe, die er ihr mit jeder Faser seines Herzens gab, egal was passierte und noch passieren würde.

Und allein dadurch waren sie für die Zukunft gerüstet. Was auch immer dort noch auf sie warten sollte, sie würden es gemeinsam durchstehen und niemand würde ihnen ihre Liebe und ihre gegenseitige Unterstützung in schweren Zeiten wegnehmen können.
Niemand!

ENDE


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