Teil 33
Autor: Ratzenlady
 

Auf dem Weg vom Krankenhaus zu den Blaisdells meldete sich Ryans Funkgerät, auch wenn Kermit den Kasten gar nicht entdecken konnte.

"Es läuft über Lautsprecher und Mikrofone", meinte Ryan und drückte einen kleinen Knopf, um die Meldung anzunehmen. Dann sprach er einfach in das Innere des Wagens hinein und bekam von der Zentrale die Information, dass man den Wagen gefunden hatte, aber auch wieder einfach abgestellt. Er schaltete ab.

"Verdammter Mist!", donnerte Kermit in den Innenraum. Er verlor zunehmend seine sonst so stoische Fassung, und das deutete Ryan nicht grade als gutes Zeichen.

"Ich muss zugeben, es hätte mich auch gewundert, wenn er ihn weiter benutzt hätte", sagte er und fing sich einen bitterbösen Blick dafür ein. Aber was sollte er machen? Er war darauf trainiert, nicht auf Gefühlsebene zu reagieren, sondern alles mit Abstand und Neutralität zu betrachten. Aber das hieß noch lange nicht, dass es ihn nicht auch berührte und besorgte, ganz im Gegenteil.

Aus einer spontanen Eingebung heraus wendete er die Viper auf der Straße. Kermits fragenden Gesichtsausdruck beantwortete er damit, dass er möglichst schnell wissen wollte, ob es einen Hinweis in dem Auto gab, der sie vielleicht doch noch zu George führte. Der Ex-Söldner stimmte zu, im Grunde hatten sie ja ohnehin grade keinen besseren Ansatz, um ihn zu finden.

Ryan gab per Stimmbefehl die Adresse in sein Navigationsgerät ein. Kermit hob ziemlich baff seine Augenbrauen und starrte die Konsole mit dem Monitor über den Brillenrand hinweg an.

"Sag mal, ist an diesem Auto, oder auch eurem Haus, irgendwas normal? Oder ist jeder Schraubenzieher eine Spezialanfertigung?", fragte er verblüfft.

Sein Kollege lachte auf. "Naja, ich sage mal so: Die Küchenmesser zum Beispiel sind alle so ausgewuchtet, dass man sie auch gut werfen kann. Aber das ist eher Haleys Metier, ich halte mich lieber an die Schusswaffen. Noch Fragen?", meinte er und grinste mit einer Mundhälfte.

Kermit schüttelte den Kopf, da hatte er wirklich einen sehr besonderen Partner abbekommen.

Als sie den Fundort des Wagens erreichten und neben dem Streifenwagen parkten, der ihn entdeckt hatte, verzog Ryan argwöhnisch das Gesicht. Sein Blick ging sofort um sich herum und an den hohen Gebäuden empor, nachdem sie die Viper verlassen hatten.

"Hier stimmt was nicht", murmelte er in Kermits Richtung.

"Was meinst du?", verließ er sich auf das Gespür des blonden und sah sich ebenfalls um.

"Allein schon der Fundort! Keine zweihundert Meter von hier steht das 37. Revier. Viel zu nah dran. Vor allem ist die Gegend zu unbelebt, um sich aus dem Staub machen zu können, sollte man zu früh entdeckt werden", erklärte er.

"Er will uns doch nur damit vor Augen führen, dass er schlauer ist", meinte Kermit grimmig.

Sein Partner aber schüttelte den Kopf, noch immer wanderte sein Blick rastlos umher, in Gedanken überlegte er, wo er sich platzieren würde, wenn er hier ein Attentat ausführen wollte.

"Nein, dafür gäbe es bessere, und für ihn ungefährlichere, Orte. Ich glaube viel mehr, dass er uns in eine Falle gelockt hat!"

Kermit beobachtete Ryan, nach allem was er inzwischen über ihn wusste, war es vermutlich das Beste, ihm zu glauben, sein Instinkt war zu gut trainiert, um falsch zu liegen. Zudem richteten sich jetzt auch ganz langsam seine Nackenhaare auf, wenn auch viel später als bei seinem Partner.

"RUNTER!", brüllte er plötzlich, ließ sich hinter den Wagen fallen, zog die Beretta und schoss dreimal in die Luft, irgendwo über dem Streifenwagen.

Kermit ging auch runter und beeilte sich, auf die andere Seite des Wagens zu kommen, wo er nicht mehr in der Schusslinie stand, als direkt vor ihm eine Kugel den Kotflügel traf und abprallte, der Lack hatte kaum einen Kratzer. Er eilte weiter.

"Die Karre ist kugelsicher?", fragte er völlig verblüfft und außer Atem.

"Allmählich geht mir dieses Arschloch wirklich auf die Nerven!", murmelte Ryan und ging nicht weiter auf Kermits Kommentar ein.

Sein Blick huschte über die Stelle, an der er den Schützen vermutete, aber aktuell konnte er keine Bewegung ausmachen. Sein Gesicht hatte wieder die professionellen Züge angenommen, die seinen Kollegen mehr als einmal erschreckt hatten; wenn man ihn so sah, konnte man nicht mehr sicher sein, ob er noch vermochte, Freund und Feind auseinander zu halten.

Eine weitere Kugel sauste über ihre Köpfe und traf den Asphalt hinter ihnen. Ryan stand blitzschnell halb auf und feuerte in die Richtung, aus der sie gekommen war, dann tauchte er wieder ab. Er wandte sich jetzt zur Fahrertür und zog sie auf, klappte den Sitz vor und kippte dann die Notbank dahinter nach oben. Kermit glaubte es kaum; darunter lag ein einsatzfähiges Scharfschützengewehr, das er jetzt hervorholte.

"Ich krieg dich, du Dreckssack!", flüsterte Ryan zu sich selbst. Sein Hauptproblem war jetzt allerdings, anzulegen, ohne seinen Kopf in die Schusslinie des Gegners zu bringen.

Kermit rutschte jetzt in Richtung Motorhaube, um von dort zu schießen und den Attentäter damit abzulenken. Sie nickten einander zu, dann hob er die Eagle und feuerte auf das Haus. Ryan unterdes legte das Gewehr auf das Heck des Wagens und suchte mit dem Zielfernrohr nach dem Schützen, konnte ihn aber nicht ausmachen.

"Wo ist er hin?", fragte Kermit, als keine Reaktion auf seine Schüsse kam.

"Entweder weg, oder er wechselt die Position", sagte Ryan und blickte wieder über die Kulisse.

Das Haus, aus dem die Schüsse kamen, war lang gezogen, er konnte innerhalb der Mauern so weit laufen, dass er sie in ihrer Deckung erwischte. Und das gefiel ihm gar nicht.

"Warum steigen wir nicht in den Wagen?", fragte Kermit nach einem Moment, die Idee kam ihm erst jetzt.

"Weil wir ihn dann nicht mehr erwischen können!", entgegnete er kalt.

Kermit musste zustimmen, es war die einfach Frage nach dem, was man wollte, wo man die Prioritäten setzte: Sich selbst in Sicherheit bringen oder den Mistkerl endlich stellen. Und letzteres war ihm dann doch wesentlich wichtiger. "Touché", meinte er nur und beobachtete das Gebäude.

Es war zu dunkel, um hinter den Fenstern etwas erkennen zu können, dazu kamen die Straßenlaternen, die auf halber Höhe leuchteten und sie damit noch weniger erkennen ließen, ob sich etwas bewegte.

Die beiden Streifenpolizisten hockten hinter ihrem Streifenwagen, allerdings war ihre Position so, dass man aus dem Haus nicht treffen konnte, sofern sie blieben, wo sie waren. Sie hatten parallel zu dem Gebäude geparkt und nicht wie Ryan quer dazu. Als die beiden Officers zu ihnen rüber sahen, deutete er ihnen mit der Hand an, einfach nur unten zu bleiben.

Sie drückten sich etwas in die Richtung der Motorhaube, allerdings konnten sie nicht weit genug, weil das Auto einfach zu flach war, um dort noch sicheren Schutz zu finden. Die Ungeduld, aber auch die Unsicherheit, wuchs in den beiden Detectives, die mit wachsamen Blicken das Haus musterten, aber nichts entdecken konnten.

Dann knallte ein weiterer Schuss durch die Nacht. Ryans laute Stimme, die eine Warnung ausrief, hallte noch in Kermits Ohren nach, als sein Körper mit Wucht zurückgeworfen und auf den kalten Asphalt geschleudert wurde.

* * *

Peter hatte Cat aufgeschrieben, was sich zugetragen hatte. Auch die Sache mit Skalany und alles, was bisher aufgrund ihres Rückzuges an ihr vorbei gegangen war. Dann hatte sie geweint, lange und viel, und hatte sich von ihm nur schwer trösten lassen, denn sie konnte seine Worte nicht hören, die er ihr liebevoll zuflüsterte, konnte nicht wahrnehmen, wenn er ihr sagte, dass alles wieder gut werden würde.

Es tat weh, sie so zu sehen. Verzweifelt und hilflos lag sie in seinen Armen, ohne auf die Berührung zu reagieren, ohne sich in seine Arme zu schmiegen, wie sie es sonst immer tat, wenn er sie beschützend hielt. Für ihn wirkte es, als hätte sie keine Hoffnung mehr, dass sich alles zum Guten wendete, aber das konnte er nicht sicher sagen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sich ihre Welt von der aller anderen abgeschottet hatte, weil sie nicht mehr so aktiv daran teilnehmen konnte.

Peter musste sich unweigerlich fragen, und das nicht zum ersten Mal seit der Explosion, was es wohl für Cat bedeutete, taub zu sein. Sein zu müssen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es für sie schlimmer war als es für die meisten anderen Menschen sein würde, aber er konnte nicht ausmachen, warum. Natürlich, sie liebte Musik, aber war es das schon? Oder verbarg sich dahinter noch mehr?

Was bedeutete Musik für sie? War es wirklich nur der Spaß daran, eine Liebelei? So wie ein Cineast gern ins Kino ging? Oder war es mehr? Er wagte nicht, sie direkt danach zu fragen. Zum einen würde er sich dann eingestehen müssen, dass er als ihr Mann nicht verstand, was sie durchmachte. Und zum anderen, sollte sie es ihm überhaupt erzählen, würde es vermutlich einen Zusammenbruch herbeiführen, wenn ihr dadurch ihr Schmerz derart vor Augen geführt wurde.

Also beschränkte er sich darauf, sie einfach nur im Arm zu halten und wortlos all die Hoffnung zu geben, die er in sich selbst finden konnte, auch wenn es nicht mehr besonders viel war. Georges Überlegenheit hatte ihm deutlich seine Grenzen gezeigt, dazu kam die Tatsache, dass er seinen sechsten Sinn verloren hatte und die Lösung immer noch unendlich weit entfernt schien.

Er war ihr näher gekommen, auch mit der Hilfe seines Vaters, aber immer noch nicht hatte er begriffen, worauf das alles hinaus sollte. Zumal er seine Shaolin-Fähigkeiten in diesen Tagen mehr denn je brauchte, und ausgerechnet jetzt wurden sie ihm versagt. Welchen Sinn sollte man dahinter sehen können?

Peter beschloss, wieder in die Meditation einzutauchen, sobald er die Zeit dazu fand, er musste dieses Rätsel endlich lösen, wenn er nicht wollte, dass es ihn in den Wahnsinn trieb und er allen Glauben an die Shaolin verlor. Denn auch in diesem Zusammenhang schwelte langsam Zorn in ihm, aber noch konnte er ihn unterdrücken, noch konnte er sich sagen, dass es sicherlich etwas gab, das er noch verstehen würde. Aber wenn er nicht bald soweit war, würde die Wut die Oberhand in seinem Inneren gewinnen, und dann würde er alles in Frage stellen, wofür er seinen Job aufgegeben und in den letzten Jahren gelebt hatte.

Er wurde aus seinen tiefen Gedanken gerissen, als Cat sich von ihm löste, mit der Hand die letzten Tränen wegwischend, und dann aufstand.

"Ich gehe schlafen", murmelte sie leise ohne ihn noch einmal anzusehen, dann ging sie zur Treppe und war verschwunden. Ihre Blicke waren rar geworden, körperliche Zuneigungsbezeugungen auch, und Peter spürte, wie weh ihm das tat. Sie im Arm zu halten, um sie zu trösten, war eine Sache, aber er vermisste es, sie einfach so zu umarmen, sie zu küssen, einfach ihre Liebe nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit der Haut zu spüren.

Verzweifelt fuhr er sich übers Gesicht und durch die Haare, sein schwerer Seufzer drang aus seiner Kehle, als Paul zu ihm kam und sich gegenüber auf den Sessel setzte.

"Deine Mutter und ich machen uns Sorgen um dich", meinte er leise.

"Und ich mache mir Sorgen um Cat", sagte der junge Mann und sah seinem Vater offen in die Augen, "und wahrscheinlich haben wir beide Recht." Paul nickte, wenigstens schien Peter begriffen zu haben, dass auch er nicht mehr der Alte war und nach und nach an der ganzen Geschichte zerbrach.

"Du solltest dich ausruhen, Peter. Das sollten wir alle", meinte Paul müde, machte aber keine Anstalten, aufzustehen.

"Und du weißt genauso gut wie ich, dass wir es nicht können, solange wir nicht wissen, was sich in unseren Schatten verbirgt", entgegnete Peter nachdenklich.

Sie schwiegen einander lange an, ehe sich beide zurückzogen. Es war fraglich, ob sie würden schlafen können, aber zumindest Paul hatte es vor. Peter hingegen würde meditieren, um irgendwie mit sich selbst und allem was um ihn herum passierte klarzukommen.

*

Eine knappe Stunde später öffnete er die Augen und war wieder dort, wo er hinwollte. Das Gras grün, der Himmel grau, der See unruhig. Peter richtete seinen Blick mit Absicht noch nicht zu den Wolken, erst wollte er versuchen, den letzten Rest Ruhe, den dieser Ort für ihn ausstrahlte, in sich aufzunehmen. Aber es war nicht mehr viel, was er mitnehmen konnte, so als hätte er die Kraft aufgebraucht, die er hier immer wieder tankte.

Er brauchte keine langen Überlegungen, um darauf zu kommen, wie es zusammenhing. Es war ein Ort seiner Gedanken, und wenn er selbst erschöpft und verzweifelt war, dann hatte der Platz hier auch nicht mehr viel für ihn. Die letzten Reserven, ganz tief in ihm, auf die er sonst dank der Meditation zugreifen konnte, waren mittlerweile auch nahezu aufgebraucht.

Peter bekam Angst, dass George ihn gar nicht töten musste, um ihn zu zerstören. Wenn er so weiter machte, dann reichte es völlig aus, ihn seelisch durch das Verantwortungsgefühl an den Geschehnissen auszulaugen, bis nichts mehr von seiner inneren Stärke übrig war. Dann würde sein Körper zwar noch leben, aber nur noch eine leere Hülle sein, für einen leeren Geist, mit leeren Gedanken.

Er schüttelte heftig den Kopf. Nein, er durfte sich nicht aufgeben, das nahm ihm nur noch mehr Hoffnung, und davon hatte er jetzt schon viel zu wenig. Er musste mit Zuversicht, Ruhe und Weisheit auf alles reagieren, was passierte. Aber es fiel mit jeder schlechten Nachricht schwerer.

Wieder musste er die Gedanken verdrängen, um nicht sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Er war hier, um Kraft zu tanken. Und Kraft war Hoffnung. Und Hoffnung konnte er vermutlich darauf schöpfen, wenn er des Rätsels Lösung und damit seinen Fähigkeiten wieder etwas näher kam. Gezielt richtete er jetzt seinen Blick in den Himmel und betrachtete die einheitlich grauen Wolken.

Es dauerte wieder ziemlich lange, bis er die schemenhaften Umrisse von Caines Gesicht darin erkennen konnte. Dann aber kam noch ein zweites dazu, dass sich langsam aus dem Dunst bildete, sich zu Linien formte und ein Antlitz preisgab, das Peter für einen Moment verwirrte: Karen.

Warum sie? Die einzige Parallele, die er im ersten Moment erkennen konnte, war dass sie beide tot waren. Beide gestorben, unter tragischen Umständen, beide hatten ein riesiges Loch in den Herzen derer hinterlassen, die sie lieben. Aber was hatte das mit seiner Prüfung zu tun?

"Was bedeutet das?", fragte er leise in die Luft, aber es kam keine Antwort. Er hätte auch nicht damit gerechnet. Zu oft war er in den letzten Tagen, die sich wie schreckliche Jahre anfühlten, enttäuscht worden, zu oft waren seine Bitten und Gebete ungehört geblieben. Zu viele verzweifelte und frustrierte Momente hatte es gegeben, und viel zu wenig Hoffnung.


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