Teil 23
Autor: Ratzenlady
 

Peter öffnete die Lider und blickte sofort zum Bett, aber es war leer. Fast schon panisch suchten seine Augen den Raum ab, fanden Cat aber sofort am Fenster stehend. Sie trug eine Hose und einen weiten Pulli von Kelly, die Annie ihr geholt und auf die Truhe am Fußende des Bettes gelegt hatte.

Er stand auf und ging zu ihr rüber. Er wollte sie schon von hinten umfassen, als er grade noch rechtzeitig daran dachte, dass sie ihn ja nicht kommen gehört hatte. Hätte er sie jetzt berührt, hätte sie sich vermutlich zu Tode erschreckt. Und auch das wäre nicht gut für die Gehirnerschütterung und ihren Gemütszustand.

Peter überlegte einen Moment, was er jetzt tun konnte, um sie vorsichtig auf sein Kommen hinzuweisen, und pustete dann gegen die Gardine. Er sah, wie ihr Kopf leicht zur Seite zur Gardine ging, also kam er an dieser Seite zu ihr rum, bis er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sie hatte sich nicht erschreckt, er sich jetzt aber dafür umso mehr.

Ihre Haut war fast schon weiß, so blass war sie, mit dunklen Augenringen und verheulten, roten Rändern. Ihr Haar war völlig wild durcheinander und hing in filzigen Strähnen in und um ihr Gesicht. Sie wirkte schrecklich krank und zerbrechlich auf ihn, ihr Blick schien durch ihn durch zu gehen, irgendwo ins Nichts.

Er wollte sie berühren, sie in den Arm nehmen, einen Kuss geben, etwas tun um ihr zu zeigen, wie er sie liebte, aber sie machte einen hektischen Schritt zurück. Eine innere Stimme sagte ihm, dass sie mit ihren Gedanken und Gefühlen allein sein wollte, eine andere allerdings, dass das eine ganz schlechte Idee war. Unschlüssig sah er sie an, bat sie mit seinem Blick, ihn an ihrem Leid teilhaben und sich helfen zu lassen. Aber sie blockte alles ab, das erkannte er überdeutlich in ihren Augen.

"Cat, bitte", flüsterte er leise, verzweifelt, flehend, und kam ihr wieder näher.

"Lass mich in Ruhe!", kreischte sie überraschend laut und mit rauer Stimme in das Zimmer und drehte sich von ihm weg.

Peter hörte, dass sie jetzt weinte und er wollte nichts mehr auf dieser Welt, als sie zu trösten. Sanft legte er von hinten seine Hände auf ihre Oberarme, Cat schlug sie aber heftig weg und entfernte sich wieder zwei Schritte. Hilflos und verzweifelt sah Peter ihr nach und starrte auf ihren Rücken.

"Lass mich einfach allein", sagte sie mit bestimmten Tonfall, wenn auch um Fassung ringend.

Genau in dem Moment kam Kermit rein, durch den Schrei aufgeschreckt, und hörte ihre Worte. Er blickte einen Moment zwischen ihnen hin und her, dann ging er zu Peter und meinte, dass es wohl das Beste war, wenn man Cats Wunsch folgte. Vor allem, wenn man sich an den Hinweis des Arztes erinnerte, dass sie sich möglichst wenig aufregen soll.

Auf dem Flur kam ihnen Paul im Morgenmantel und mit besorgtem Gesichtsausdruck entgegen.

"Was ist passiert?", fragte er die beiden.

"Was wohl?", meinte Peter abwesend und ging dann mit hängendem Kopf die Treppe runter.

"Sie lässt keinen an sich ran?", hakte der Ex-Captain noch mal nach, Kermit nickte betrübt und folgte dann dem Shaolin nach unten. Auch ihn wollte er ungern allein lassen.

"Konntest du schlafen?", fragte Kermit und ließ sich wieder auf seinen Sessel fallen, in dem er den ganzen Morgen verbracht hatte.

"So was ähnliches. Hast du was rausbekommen?", wechselte Peter das Thema und der Ex-Söldner sah schon wieder den unbändigen Hass in seinen Augen.

"Schon, aber nichts Hilfreiches. Er ist vor vier Wochen über Atlanta in den Staaten eingereist, unter dem Namen George Stankovich. Aus der Schweiz. Ich nehme an, dass er dort ein Nummernkonto oder sonst irgendwas hat. Dort wird er sich auch einen falschen Pass machen lassen haben. Aber leider hört die Spur in Atlanta auch schon wieder auf", teilte Kermit mit.

"Er ist allein gereist?", fragte Peter nachdenklich.

"Ja, sieht so aus. Warum fragst du?"

"George ist kein Mann, der sich selbst die Finger schmutzig macht. Er hat Helfer. Und wenn die nicht mit ihm eingereist sind, hat er sie vielleicht hier engagiert. Ich ruf Donnie an!", sagte Peter und zog sein Handy aus der Tasche.

Kermit musste zugeben, dass sich ihm selbst diese Schlussfolgerung nicht ergeben hatte, aber sie machte absolut Sinn. Noch während Peter telefonierte, klingelte auch sein eigenes Handy.

"Ja", meldete er sich zurückhaltend, denn sein Display hatte ihm keine Nummer angezeigt.

"Detective, hier ist Haley Walker."

Kermit war für eine Sekunde sprachlos. "Was kann ich für sie tun?", verhielt er sich zunächst vorsichtig.

"Mir sagen, unter welchen Namen dieser George bisher aufgetreten ist. Ich muss nämlich sagen, ich sehe die Angelegenheit nicht ganz so eng wie Ryan, auch wenn er mich wahrscheinlich dafür erwürgt", scherzte sie trocken, "außerdem habe ich es mir nicht so verspielt mit meinen Kontakten wie er; ihretwegen."

Kermit schluckte. Das war zum einen zu schön um wahr zu sein, und zum anderen konnte er die Intention nicht ganz nachvollziehen.

"Warum tun sie das?"

"Weil ich Cat und Peter bei dem Abendessen sehr nett fand. Weil ein von Rache getriebener Mann der schlimmste Feind ist, den man haben kann, also sollte man ihn schleunigst von der Straße räumen", erklärte sie ihren Hintergrund.

Kermit sah zu Peter rüber, der aber mit dem Rücken zu ihm an der Panoramafront stand und in sein eigenes Gespräch mit Donnie Double D vertieft war. Außerdem: Was hatte er schon zu verlieren.

"Malkovich, Vladpallin, und zuletzt Stankovich. Unter dem Namen ist er vor vier Wochen in den Staaten eingereist", teilte Kermit mit und wartete gespannt auf ihre Reaktion.

"Dann werde ich mal sehen, was ich finden kann. Auf Wiederhören", sagte sie und legte auf.

Der Cop starrte fasziniert sein Handy an, es gab doch immer wieder Überraschungen bezüglich Walker, und wenn ER es nicht war, dann eben seine Frau.

Peter kehrte jetzt zu ihm zurück und schien tatsächlich nicht gemerkt zu haben, dass Kermit auch telefoniert hatte. Er ließ sich wieder aufs Sofa fallen.

"Donnie erkundigt sich", sagte er nur knapp, während Kermit überlegte, ob er seinen jungen Freund über Haley Walkers Anruf informierte oder nicht. Er beschloss, es zunächst zu lassen, bis sie sich wieder gemeldet hatte. Zum einen wollte er nicht unbedingt, dass es bei Ryan landete, zum anderen musste er seinen Freund dann nicht enttäuschen, sollte nichts dabei herauskommen.

Annie und Paul kamen jetzt die Treppe runter. Während sie sich sofort in die Küche begab, gesellte er sich zu den anderen beiden Männern. Kurz und knapp erzählten sie ihm von Kermits Ergebnissen und Peters Telefonat mit Donnie Double D. Dann kam Annie wieder zu ihnen.

"Wir könnten jetzt frühstücken", sagte sie langsam.

Sie gab in ihrem Ton deutlich mit, dass jemand jetzt hochgehen und Cat Bescheid sagen musste. Und keiner von ihnen wusste, wie sie auf so etwas Simples wie Essen reagieren würde. Peter wollte sich in Bewegung setzen, aber Paul legte ihm wortlos die Hand auf die Schulter, so als wollte er sagen, dass er mal sein Glück versuchen wollte, und ging die Treppen wieder hoch.

Er klopfte an die Tür, obwohl er wusste, dass Cat das nicht hören konnte und schob sie dann langsam auf. Sie stand vorm Fenster und schien die Regentropfen zu beobachten, die herbstlich an die Scheibe schlugen, genau so wie Peter sie am Morgen schon vorgefunden hatte.

Paul überlegte, ob er ihr einen Zettel schreiben sollte, verwarf den Gedanken aber wieder; dass es Essen gab würde er ihr auch so noch verständlich machen können. Mit übertrieben harten Schritten ging er auf sie zu, damit sie die Vibration des Bodens spürte und dadurch auf ihn aufmerksam wurde. Er sah sofort, wie sich ihre hängenden Schultern strafften und aufrichteten, ein deutliches Zeichen von Aggressivität und Abwehrverhalten.

Er legte ihr väterlich eine Hand auf die Schulter, sie aber schüttelte sie mit einer deutlichen Geste wieder ab. Paul musste tief durchatmen, um nicht ärgerlich wegen soviel Unvernunft zu werden, dann griff er wieder nach ihren Schultern und drehte sie mit sanfter Gewalt so weit rum, dass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.

Ihr Blick war verhärtet, und noch immer verheult. Sehr deutlich zeigte sie ihm, dass sie keinerlei Interesse an seiner Gesellschaft hatte, geschweige denn an dem, was er ihr sagen wollte.

"Unten gibt es Essen", sagte er und machte mit einer Hand die entsprechenden Gesten. Sie schüttelte nur abweisend den Kopf.

"Herrgott, du musst was essen!", ergänzte er eindringlich, auch wenn er sich diesmal nicht sicher war, ob seine improvisierte Zeichensprache das auch ausdrückte.

Wut loderte in ihren Augen auf. "ICH HABE KEINEN HUNGER!" brüllte sie ihn an und entzog sich dann seinem Griff, "LASST MICH EINFACH ALLE IN RUHE! IST DAS DENN SO SCHWER ZU VERSTEHEN?!"

Paul sah sie einen Moment an, tadelnd, aber auch mitfühlend, dann drehte er sich rum und verließ sie wieder. Er wusste nicht, ob sie schreien wollte, oder ob es daran lag, dass sie ihre eigene Lautstärke nicht hören konnte. Aber es war auf jeden Fall das erste Mal, dass er in seinem eigenen Haus so hatte mit sich reden lassen, ohne über Konsequenzen dafür nachzudenken.

"Wir haben ihre Antwort gehört", meinte Annie resignierend, als ihr Mann die Küche betrat. Peter ließ einfach verzweifelt den Kopf hängen und stützte das Gesicht in seine Handflächen, sein ganzes Auftreten zeugte deutlich davon, dass er nicht wusste, wie er mit der Situation, und vor allem seiner Frau, umgehen sollte.

"Lass ihr Zeit", sagte Annie versöhnlich, schließlich wusste sie am Besten, wie es war, mit solch einer Einschränkung leben zu müssen.

"Zeit ja, soviel sie braucht. Aber wenn sie nichts isst, kippt sie irgendwann um. Und lange werde ich mir diesen Hungerstreik sicher NICHT ansehen", entgegnete Paul ebenso hart wie auch besorgt.

Die anderen stimmten sowohl ihm, als auch Annie zu und hatten keine andere Wahl, als abzuwarten, wie sich Cat in der nächsten Zeit verhalten würde.

* * *

Ryan betrat das Großraumbüro und entdeckte sofort die Kollegen von der Nachtschicht, die grade den aus dem Urlaub zurückgekehrten Strenlich über die Vorkommnisse der letzten Nacht informierten. Der Cop mit der beeindruckenden Vergangenheit kannte den Chief aus seiner Vorfeld-Recherche, aber der ihn noch nicht.

"Sie müssen Walker sein", sagte er grimmig.

"Chief", begrüßte er ihn mit einem knappen Kopfnicken.

"Ich habe schon viel von ihnen gehört. Und ich bin erst seit einer halben Stunde hier", bemerkte Strenlich trocken.

Ryan grinste nur geheimnisvoll, warf den Damen einen Blick zu und ging dann zu seinem Schreibtisch.

"Der ist ja genauso wie Kermit", knurrte Strenlich leise und sah ihm nach, wie er kurz seinen PC hochfuhr, sich den Aktenberg auf dem Tisch besah und dann mit seiner Kaffeetasse wieder zu ihnen kam, wobei er einen Schulterblick zur Tür des Captains warf.

"Monahan noch nicht da?", fragte er überflüssigerweise und zapfte seinen Becher voll mit dem schwarzen Gebräu.

"Nein", meinte Jody, sie sah ziemlich müde aus.

"Irgendjemand muss Kermit ablösen, der wird heute Nacht nicht geschlafen haben", sagte er und biss sich zugleich auf die Zunge. Er und Strenlich waren die einzigen Anwesenden, die die Augen hatten zumachen können.

"Sorry, ihr ja auch nicht", murmelte er zu Jody, Skalany und Blake.

"Wir sollten erstmal auf den Captain warten, ansonsten kannst du zum Beispiel auch nicht weg. Er müsste eigentlich gleich kommen", meinte Mary-Margaret. Und keine drei Sekunden später erschien der, von dem da gesprochen wurde, im Eingang. Ryan wollte auf ihn zugehen, aber Strenlich schob sich in einer Weise vor ihn, dass seine Körpersprache deutlich sagte, dass er als Chief das klären würde.

"Captain, ich weiß nicht, ob sie von den Vorfällen heute Nacht erfahren haben…" weiter kam er nicht.

"Davon, dass die komplette Besetzung für Stunden verschwunden war? Davon, dass die Spurensicherung aufgrund eines Gasunfalls aufgescheucht wurde? Doch, davon habe ich erfahren!", sagte er mit ärgerlichem Nachdruck.

"Es war kein Unfall!", verteidigte Jody und wedelte mit einem Bericht. "Es war eine Bombe!"

"Na fein. Und wo waren die Damen und Herren heute Nacht?"

"Im Krankenhaus. Wir wären aber jederzeit über Handy erreichbar gewesen", schaltete sich jetzt Ryan ein.

Monahan warf ihm einen unzufriedenen Blick zu. "Sie hatten doch überhaupt keinen Dienst, also fühlen sie sich nicht angesprochen! Ich hatte heute Morgen schon die Dienstaufsicht am Hals, also erklären sie mir jetzt verdammt noch mal, was da passiert ist!"

Ryan beobachtete ihn. Natürlich hatte er sich auch des Captains angenommen und in dessen Werdegang geforscht, und die Art, in welcher er sich dort darstellte, verriet ihm, dass es Monahan nicht darum ging, jemandem ans Bein zu pinkeln, sondern einfach den Grund zu erfahren, warum er sich vor seine Leute stellte. Denn das hatte er sicherlich getan, daran hatte er keinen Zweifel.

"Ein Attentat auf Castor Caine, die Ehefrau von Peter Caine. Genau um ihn geht es auch, ein Racheakt bezüglich früherer Fälle", erklärte Strenlich sachlich, auch wenn man ihm ansah, dass er an sich halten musste, so ruhig zu bleiben.

"Schon wieder Caine. Ich dachte, der ist seit Jahren schon kein Cop mehr", kommentierte ihr Vorgesetzter.

"Aber ein guter Freund und Berater der Polizei! Er und seine Frau brauchen Polizeischutz", kam Skalany jetzt auf das Thema, das ihnen allen auf er Seele lag.

"Moment mal, Detective! Darüber reden wir VIELLEICHT später. Jetzt will ich erstmal detailliert eingewiesen werden in diese Geschichte, damit ich weiß, was ich den Paragraphenreitern von der Inneren erzählen kann!"

"George Vladpallin, Sir. Früher auch als George Malkovich aufgetreten. Er war lange Zeit verschwunden, aber jetzt ist er wieder da. Er will sich an Peter rächen, deshalb… hat er das Haus, in… in dem sie wohnen mit einer Bombe gesprengt. Er… war auch im Krankenhaus und… hat Peter angedroht, dass er ihn töten wird", erklärte Blake jetzt ziemlich stotternd.

"Und jeden, der ihm lieb ist", ergänzte Ryan.

Monahan schaute zwischen seinen Detectives hin und her, ihre Blicke waren eindeutig.

"Ich will die Akten dieser George-Geschichten auf meinem Schreibtisch haben, so schnell wie möglich. Griffin… ist er aktuell bei den Caines?"

"Richtig", sagte Strenlich. Wieder blickte der Captain in ihre Gesichter.

"Chief: Schreiben sie Detective Griffin die Stunden als Arbeitszeit gut. Powell, Blake, Skalany, sie haben erstmal Feierabend, ruhen sie sich aus. Walker, sie werden Griffin ablösen. Die weiteren Schichten teilen sie bitte selbst ein und geben sie wegen der Dokumentation an Chief Strenlich weiter."

Strenlich lag auf der Zunge, dass er dann kaum noch jemanden zum arbeiten hier hatte, aber er verbiss sich den Kommentar, schließlich war die Sicherheit von den Familien Caine und Blaisdell auch ihm wichtiger als sein Dienstplan. Wenigstens würde morgen T.J. zurückkommen, dann hatte er einen Mann mehr. Und Kermit hatte seinen Dienstantritt auf verständlichen Gründen eigentlich schon verpasst. Dennoch würde es ihn nicht wundern, wenn er in ein oder zwei Stunden hier ankommen und an seinem Computer weiter arbeiten würde; so lange, bis George Wie-auch-immer gefasst war.

 

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