Teil 6
Autor: Ratzenlady
 

Peter stand unruhig im Flur, als Cat durch die Eingangstür kam. Annie hatte ihre Sachen gewaschen und ihr noch eine Jacke und einen Schal mitgegeben, die sie auch brav trug. Ihre ohnehin helle Haut war blasser als sonst, und ohne ihr Make Up sah sie jetzt fast elendig aus.

"Hey Süße", sagte er leise, seine Stirn war gerafft, er wirkte unsicher ihr gegenüber.

Sie lächelte ihn schüchtern an. "Hallo Honey", antwortete sie, ihre Stimme klang, als hätte sie Sandpapier zum Frühstück gegessen statt Eiern und Speck.

"Um Gottes Willen, du klingst ja furchtbar! Leg dich erstmal hin, und…"

"Peter!"

Fahrig blickte er sie an, während sie mit dem Anflug eines Grinsens eine Augenbraue hochzog und ihn somit wortlos tadelte.

"Ich bin erkältet, nicht sterbenskrank! Außerdem werde ich mich frühestens hinlegen, wenn wir beide miteinander gesprochen haben. Über das, was gestern passiert ist", krächzte sie bestimmt und zog sich Schal und Jacke aus.

Peter strich ihr über die Oberarme und sah sie an, ihr Blick hinderte ihn daran, zu widersprechen. "Aber als erstes mache ich dir einen Tee für deinen Hals. Keine Widerrede!"

"OK, aber unter der Bedingung, dass er schmeckt", stimmte sie zu und ging schon mal ins Wohnzimmer, während Peter in seiner Apotheke verschwand. Die Stimmung war merkwürdig befremdlich zwischen ihnen, sie wussten beide nicht, wie sie sich verhalten sollten, schließlich hatten sie sich am Tag zuvor im Streit getrennt.

Fünf Minuten später kam er mit einer dampfenden Tasse zu ihr zurück und setzte sich neben seine Frau. Nervös sah er ihr in die Augen, ihre Gefühlslage konnte er nur schwer einschätzen, als würde ihn irgendetwas blockieren, zu spüren, ob sie noch böse auf ihn war. Sie lächelte, aber ihr Ausdruck war dennoch ernst. Wortlos ging dieser Streit nicht vorbei, das war dem Shaolin spätestens jetzt klar.

"Hör zu, Honey, ich weiß, ich hab gestern übertrieben reagiert, aber…", setzte sie an, stockte dann aber. Peter legte ihr seine Hand auf die ihre und sah ihr in die Augen, in denen er jetzt Entschlossenheit entdecken konnte.

"Ich glaube, du verstehst einfach nicht so ganz, wie ich mich dabei fühle. Seit dem Tod meiner Eltern habe ich mit offenen Augen geschlafen, habe ich über meine Schulter geschaut, habe mich verfolgt gefühlt. Seitdem musste ich alles und jeden abschätzen, musste aufpassen, konnte niemandem trauen, war in steter Gefahr! Jeder den ich kennenlernte, wurde vom FBI überprüft. Abgesehen von dir, da habe ich einfach in dich vertraut. Und wurde ja auch nicht enttäuscht." Sie atmete kurz durch.

"Verdammt Peter, ich kann auf mich aufpassen! Ich habe es die letzten Jahre durchgängig getan, ich tue es auch jetzt noch. Ich dachte, dass ich nach dem Tod dieses miesen Schweins endlich frei wäre. Und jetzt versuchst du mich in einen goldenen Käfig zu sperren!"

Peter wollte etwas sagen, aber sie blockte ihn mit der ausgestreckten Hand ab und hieß ihn schweigen.

"Ich weiß, dass das nicht deine Absicht ist, aber genau so kommt es bei mir an! Herrgott, vertrau mir doch einfach. Vertrau in das, was ich schon seit Jahren mache. Vertrau in das, was du mir beigebracht hast."

Sie sah ihn an, bittend, fordernd, wartend. Peter nahm ihre Hände in seine blickte einen Moment darauf hinab. Seine Gefühle überschlugen sich in seinem Geist, er brauchte jetzt ein paar Sekunden, um für sich zu sortieren, was sie meinte und forderte; und was er geben konnte.

"Ich wollte dich nie einsperren, Liebling", setzte er verlegen an und sah dann wieder auf, "aber ich mache mir einfach Sorgen. Diesmal habe ich es übertrieben, ich weiß, aber ich… ich könnte es nie verkraften, wenn dir etwas zustoßen würde!", sagte er aufrichtig und wartete auf eine Reaktion ihrerseits.

"Aber ich pass doch auf mich auf! Es ist doch nicht so, dass ich blauäugig durch die Welt laufe und jedem vertraue. Wenn Ryan mich gefragt hätte, ob ich mit zu ihm komme, oder durch eine dunkle Gasse hätte gehen wollen, hätte ich doch niemals zugestimmt! Ich bin doch nicht dämlich, Peter!"

"Das glaube ich doch auch nicht! Ich habe doch schon gesagt, dass mir da eine Sicherung durchgebrannt ist. Aber ich habe nun mal Angst um dich!"

Cat fuhr sich durch ihre wuscheligen Haare und seufzte schwer. Wenn sie so weiter machten, endete die ganze Sache genauso wie am vorigen Abend, und das wollte sie auf keinen Fall. Wie sollte sie diesen sturen Shaolin bloß dazu kriegen, ihr auch in Sicherheitsfragen einfach zu vertrauen und den Dingen ihren Lauf zu lassen? Sie seufzte noch mal.

"Hör zu, Peter. Ich will mich nicht schon wieder mit dir zoffen. Aber du musst mir einfach zugestehen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen! Ich kann sehr gut zwischen gefährlich und ungefährlich unterscheiden, willst du das denn nicht verstehen?"

Jetzt sah sie ihn fordernd an, wartete auf eine Antwort. Er war nervös und verzog geknickt einen Mundwinkel. Er hatte nicht wirklich eine Wahl, er musste ihr geben, was sie wollte, wenn er sie mit seiner Fürsorge nicht erdrücken wollte.

"Cat, ich… ich versuch's, ok? Ich will dich doch gar nicht einsperren, nicht bevormunden. Ich mache mir einfach ständig Sorgen, um jeden in meiner Nähe, und eben am meisten um dich! Aber ich werde in Zukunft versuchen, diese Angst zurückzuhalten. Ich hab's wirklich übertrieben, du hast ja Recht", sagte der Shaolin schließlich resignierend. Bestimmt konnte er seine Angst nicht aus seinem Herzen verbannen, aber er musste sich zurückhalten, so wie seine Eltern es früher bei ihm und seinen Schwestern auch getan hatten.

Sie lächelte ihn an, nickte. Beide wussten, dass es nicht so einfach war, wie es jetzt klang. Aber wenn sie sich Mühe gaben und einander entgegenkamen, würden sie es schon hinkriegen, da waren sie überzeugt.

"Und jetzt aber ab ins Bett!", sagte Peter gespielt streng, Cat aber schüttelte den Kopf.

"Wie gesagt, ich bin nicht sterbenskrank. Ich werde mich hier auf dem Sofa einkuscheln und am Laptop meinen Konzertbericht schreiben, bevor ich von meinem Redakteur eins auf den Deckel bekomme. Aber so einen Tee würde ich noch nehmen, der war erstaunlicherweise wirklich lecker!", flötete sie zuckersüß und reichte Peter die leere Tasse.

Er nahm ihr den Becher ab und stellte ihn wieder auf den Tisch, dann legte er den Arm um ihre Schultern.

"Gleich, Süße. Aber erst...", sagte er leise und küsste sie dann verliebt und glücklich darüber, dass sie sich wieder vertragen hatten; auch wenn er Zugeständnisse hatte machen müssen, die seiner besorgten Natur nicht wirklich schmeckten.

Nachdem sie sich wieder voneinander lösten, musste Cat erst mal husten und grinste dann. Peter fühlte deutlich, dass auch ihr ein Stein vom Herzen gefallen war und sie jetzt wieder völlig gelöst sein konnte.

"Was hast du heute noch?", fragte sie interessiert und angelte gleichzeitig nach der Notebooktasche, die am Sofa lehnte.

"Nur zwei Stunden Einzelunterricht mit Jeremy, ansonsten kann ich mich voll und ganz um dich kümmern!", sagte er und küsste sie auf die Stirn, die entgegen des gestrigen Abends wieder normale Temperatur angenommen hatte.

"Als ob das nötig wäre. Außerdem bleibt es doch ohnehin nie dabei... wetten irgendwer ruft heute noch nach dir, oder es passiert irgendwas anderes Unvorhergesehenes", meinte sie aus der persönlichen Erfahrung.

"Das kann ich zur Not auch absagen", meinte Peter, erntete dafür aber schon wieder einen kurzen, bösen Blick.

"Peter! Es geht mir gut, ich hab nur Schnupfen. Wenn also irgendwo die Hilfe eines Shaolin gebraucht werden sollte, dann kannst du auch guten Gewissens gehen."

"Man könnte meinen, du willst mich loswerden", scherzte er und bekam ein kratziges Lachen zur Antwort.

"Sicher nicht", sagte sie halb scherzhaft, halb ernst und zog ihn zu einem weiteren Kuss zu sich. Dann verließ er sie, um einen neuen Tee zu kochen und anschließend den Trainingsraum für Jeremy vorzubereiten. Seit einer Weile hatte er Einzelunterricht mit ihm angefangen, weil der junge Mann mit seinem Potential in der Gruppe einfach unterfordert war.

Cat klappte unterdessen den Laptop auf und checkte ihre Emails, unter denen sie eine von ihrem Boss fand mit einem neuen Konzertermin, den sie besuchen sollte. Sie grinste breit, wieder handelte es sich um eine Band, die zwar relativ unbekannt war, aber welche die junge Frau sehr gern mochte. Allerdings war das Konzert bereits in drei Tagen und sie konnte nur hoffen, dass sie bis dahin zumindest wieder einigermaßen fit war.

Sie dachte grade darüber nach, ob sie Ryan fragen sollte, ob er Lust hätte sie zu begleiten, sofern er keinen Dienst schieben musste, als das Telefon klingelte. Sie stellte den Laptop auf den Wohnzimmertisch und wickelte sich aus ihrer Decke, um zu dem Gerät zu gehen und das Gespräch anzunehmen.

"Caine."

"Du klingst ja wie ein Reibeisen, Kleines", wurde sie begrüßt.

"Tja, das kommt davon, wenn man im Regen spazieren geht", entgegnete sie leicht verlegen über ihre eigene Unvernunft.

"Wieder alles klar bei euch?"

"Ja, keine Sorge. Tut mir übrigens leid, dass ich dich so angefahren habe."

"Kein Thema", wiegelte Kermit sofort ab.

"Was kann ich denn für dich tun?", fragte sie jetzt nach dem Grund seines Anrufs.

"Mir Peter ans Telefon holen, wenn er in der Nähe ist. Bitte."

"Er ist nebenan, warte, ich bring dich zu ihm", sagte sie und ging dann in den Trainingsraum, wo Peter fröhlich pfeifend auf- und umräumte. Sie reichte ihm das Telefon.

"Kermit", sagte sie nur knapp und zog sich dann wieder ins Wohnzimmer und unter ihre Decke zurück. Sie fühlte sich doch kranker, als sie offen zugeben wollte.

"Hi, Partner", begrüßte Peter seinen Trauzeugen, "wie läuft's?"

"Frag nicht." Argwöhnisch verzog der Shaolin sofort das Gesicht.

"Was ist denn los?"

"Ryan Walker, der ist los! Der Kerl treibt mich in den Wahnsinn!" knurrte Kermit am andern Ende der Verbindung ärgerlich. Peter hörte deutlich, dass sein Freund allein bei der Nennung des Namens schon zornig zu schnaufen anfing. Was auch immer Cats neuer Freund gemacht hatte, es brachte den früheren Söldner zur Weißglut.

"Was macht er denn?", hakte Peter vorsichtig nach.

"Er macht alles perfekt. Der Knabe ist ein echter Supercop. Und genau da liegt das Problem, mit dem ist irgendwas faul! Er ist mit Sicherheit nicht der, der er vorgibt zu sein!"

Peter raffte die Stirn. "Du hast ihn doch sicherlich überprüft", dachte er laut über Kermits Worte nach.

"Sagen wir, ich hab's versucht", murrte der ärgerlich, "aber ich konnte buchstäblich nichts rauskriegen! Alles was länger zurückliegt als drei Jahre ist so gut versteckt, dass ich nicht drankomme. Irgendjemand beschützt ihn verdammt gut!"

Peter hörte den Unmut darüber in der Stimme des Cops. So sehr sein eigenes Leben im Dunkeln lag, so sehr hasste er es, wenn er über andere Menschen nicht im Klaren war. Die Menschenkenntnis des jungen Mannes schaltete sich jetzt ein und bewog ihn zu seiner nächsten Vermutung.

"Schön und gut. Aber du hast doch noch was", schoss er ins Blaue. Und traf.

"Mhm. Er hat es tatsächlich zugegeben! Er hat nichts gesagt, und trotzdem zugegeben, dass er eine Vergangenheit hat, die man nicht in die Öffentlichkeit trägt. Mehr ist nicht aus ihm herauszubekommen! Ich traue ihm keinen Meter!", zürnte der frühere Söldner, der sich jetzt regelrecht in Rage geredet hatte.

"Ganz ruhig, Kermit", versuchte der Shaolin zu beschwichtigen, "das muss doch nicht unbedingt was schlechtes bedeuten. Vielleicht war er vorher in einer militärischen Spezialeinheit oder so. Das macht ihn nicht zwingend zu einem schlechten Cop."

Peter hätte wissen müssen, dass dieser Versuch fehlschlagen würde. Nach der Erfahrung mit Alex Woods würde Kermit niemandem mehr trauen, dessen komplette Lebensgeschichte er nicht kannte.

"Das kann ja sein, Peter! Aber solange ich es nicht WEIß, werde ich ihm nicht über den Weg trauen!", machte er unmissverständlich deutlich.

Peter nickte und überlegte sich, dass es vermutlich das Beste war, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

"Hattest du mich angerufen, um dich über Ryan Walker auszukotzen, oder gibt es einen anderen Grund dafür?", fragte er. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Jeremy in wenigen Minuten auf der Matte stehen würde.

"Von beidem ein bisschen. Ich wollte zwei Sachen von dir", sagte der Cop zunächst und wartete dann offenbar eine Reaktion seines Freundes.

"Dann schieß los."

"Zum einen wollte ich dich bitten hier vorbei zu gucken und dir den Kerl mal anzusehen", setzte Kermit an und hörte wie Peter die Luft einzog.

"Du weißt schon, dass ich kein Metalldetektor bin, der bei jedem Menschen das Böse herausfiltert? Ich kann zwar sensibler auffangen, was andere ausstrahlen, aber das sind alles keine hundertprozentigen Belege für irgendwelche Vermutungen", sagte der Shaolin in erstaunlich scharfem Tonfall.

"Wou, was ist denn mit dir los?", fragte Kermit verblüfft. Wenn Peter so reagierte, war irgendwas im Busch, und das wiederum ließ leise Sorgen in ihm aufsteigen.

"Das dauert jetzt zu lange", kappte Peter diesmal das Thema. Er hatte aktuell keine Nerven dafür, ihm das zu erzählen, was sich bezüglich des Streits mit seiner Frau und der Tatsache, dass er am Nachmittag zuvor nicht spüren konnte ob es ihr gut ging, in ihm zutrug. Zu groß war seine eigene Verwirrung darüber, dass seine mentale Empfangsantenne offenbar ausgefallen war.

"Also, was ist Punkt zwei?", lenkte der Shaolin ab, ohne die erste Frage beantwortet zu haben.

"Deine Frau sollte aktuell keine Konzerte besuchen."

"Du bist witzig! Das ist ihr Job", sagte Peter, als hätte sein Freund den Verstand verloren.

"Ich mein's ernst, Partner! Wir hatten in den letzten beiden Nächten zwei Tote, beide Besucherinnen eines Rock-Konzerts, beide sahen deiner Frau verdammt ähnlich", drückte Kermit sich jetzt klarer aus.

*Auch das noch*, schoss es Peter durch den Kopf. Er konnte sich deutlich vorstellen, wie Cat reagieren würde, sollte er ihr zutragen, dass sie zu Hause bleiben sollte. Schließlich hatte er ihr vor nicht mal einer Stunde zugestanden, dass sie auf sich aufpassen könne.

"Na super", seufzte Peter leise und ließ Kermit deutlich hören, dass ihm das gar nicht passte, "also ein Serienkiller?"

"Sieht ganz danach aus", bestätigte der Cop und hoffte inständig, dass Peter seine Frau dazu bringen konnte, vorerst nicht mehr auszugehen.

"Ich werde mal sehen, was ich machen kann. Ich hab jetzt gleich Unterricht, also wenn sonst nichts ist, Kermit...", versuchte der junge Mann das Gespräch zu beenden.

"Was ist denn jetzt mit heute Nachmittag? Guckst du mal rein?" kam der frühere Söldner auf seine erste Frage zurück. Wahrscheinlich tat es dem Shaolin auch ganz gut, mal rauszukommen, und vielleicht konnte er ihm ja dann persönlich etwas über seinen Gemütszustand entlocken.

"Weiß ich noch nicht, mal sehen. Mach's gut", sagte Peter und legte auf, ohne auf Kermits Abschiedsworte zu warten. Es war ihm jetzt nicht danach, mit irgendwem darüber zu reden, wie es ihm ging. Kermits Bitte, den Kerl anzusehen und sagen, ob er vertrauenswürdig war oder nicht, hatte ihm aus einem unverständlichen Grund den Rest gegeben und ihm seine Unzulänglichkeit am vorherigen Tag noch einmal überdeutlich vor Augen geführt.

 

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